Leadership Essays 2025

Successfully lazy. Selbstführung ermöglicht es, mit weniger mehr zu schaffen

Von Anja Brühlmann, Marc Middelkötter, Hans Reiser, Christian Seewald, Manuel Stutz und Andi Vogel


«Ich bin Sasha, bin 42 Jahre alt, habe eine Familie, leite bei der Arbeit ein Team und spüre in letzter Zeit, dass ich langsam an meine Grenzen stosse. Mein Job fordert mich jeden Tag aufs Neue. Zuhause hält mich meine Familie mit unseren zwei Kindern auf Trab. Eigentlich liebe ich meine Arbeit, mein Leben, mein Umfeld – und doch ist mir in letzter Zeit alles zu viel und es schleichen sich erste Burnout-Symptome ein. Der Spagat zwischen Verantwortung im Job, Familie und der ständigen Erreichbarkeit zehrt an mir. Ich fühle mich zerrissen – zwischen all den Rollen, die ich erfüllen soll, und dem tiefen Wunsch, wirklich da zu sein: für meine Familie, für meine Freund:innen, für meine Kolleginnen und Kollegen und für mich selbst. Dieser Anspruch führt bei mir nicht selten zu Stress und Erschöpfung. Immer öfter frage ich mich: Ist mein Leben in einer Balance, wie ich sie brauche? Oder bin ich dabei, mich selbst irgendwo dazwischen zu verlieren?»

Sasha ist eine fiktive Person, in der wir uns alle manchmal wieder erkennen. Sasha vereint die Erfahrungen von uns sechs Autor:innen, die im Alltag sehr gefordert sind und durch Self-Leadership ihre persönliche Balance, ihren (eigenen) Führungsstil und Erfolg reflektieren, steuern und anpassen wollen.

Um diese Themen anzugehen, müssen einige grundlegende Begriffe erklärt werden, die auch wir sechs ganz unterschiedlich bewerten: Was heisst es für jeden von uns, erfolgreich zu sein? Mit Techniken des Self-Leadership wollen wir uns und unsere Umgebung in die passende Balance bringen. Dafür begeben wir uns gemeinsam auf eine Reise, in der wir einiges über uns selbst lernen und in der nicht immer alles so glatt läuft wie erwartet – doch dazu später mehr. Jetzt zurück zu Sasha.


«Ich, Sasha, bin also zum Glück nicht allein. Meinen Freund:innen aus dem Umfeld geht es wie mir. Und sie werden mich auf dieser Reise begleiten und ein Teil der Geschichte sein. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg – alle auf der eigenen Suche, aber verbunden durch dieselbe Sehnsucht nach Veränderung. Mit dem Ziel, dass alle danach ausgeglichener und erfolgreicher sind. Ist das realistisch?»

Das Verständnis von Erfolg in der Schweiz

In der Schweiz wird Erfolg traditionell stark mit Leistung, Zuverlässigkeit und Eigenverantwortung verbunden. Der berufliche Werdegang, finanzielle Stabilität, fachliche Kompetenz und gesellschaftlicher Beitrag spielen eine zentrale Rolle. Pünktlichkeit, Qualität und Bescheidenheit sind tief verankerte Werte – und Erfolg wird selten laut zelebriert, sondern eher durch stille Anerkennung und Stabilität sichtbar.Gleichzeitig hat sich das Verständnis von Erfolg in den letzten Jahren gewandelt.


«Für mich und meine Freund:innen steht die sinnvolle Arbeit im Zentrum – eine Tätigkeit, die nicht nur den Lebensunterhalt sichert, sondern auch Sinn stiftet und Raum für persönliche Entwicklung lässt. Ein adäquater Lohn, der die Basisbedürfnisse deckt, ist dabei ebenso wichtig wie die Freude an der Arbeit selbst. Erfolg bedeutet für uns, dass Beruf und Privatleben nicht in Konkurrenz stehen, sondern sich gegenseitig bereichern.»

Quality-Time mit Familie und Freund:innen, Zeit für Sport und Selfcare, sowie das bewusste Erleben des Moments schaffen die nötige Balance. Diese Balance ist kein Zustand, sondern ein dynamischer Prozess, der Achtsamkeit und Abgrenzung erfordert – besonders in einer Welt voller Reize und Anforderungen.

Ein weiteres zentrales Element ist das positive Wirken auf die Gesellschaft. Erfolg zeigt sich darin, wie wir unser Umfeld beeinflussen – durch Mitgefühl, Verantwortung und Authentizität. Es geht darum, gesund, bewusst und unabhängig zu leben, Entscheidungen selbstbestimmt zu treffen und dabei stets mit den eigenen Werten verbunden zu bleiben.


«Dankbarkeit, Familie, persönliche Entwicklung und das Leben in der Natur sind keine Nebenschauplätze, sondern tragende Säulen eines erfüllten Lebens. Wenn Freude, Gesundheit und innere Ruhe spürbar sind – im eigenen Leben und im Leben der Menschen um uns herum – dann ist das für mich und meine Freund:innen wahrer Erfolg.»

In der Breite zeigt sich also ein Spannungsfeld zwischen klassischem Leistungsdenken und modernen Life-Balance-Idealen, was sich auch im Diskurs um Self-Leadership und neue Arbeitsmodelle widerspiegelt.

Successfully lazy: nicht faul, sondern fokussiert – nicht getrieben, sondern bewusst


«Ich habe zu diesem Thema eine Hypothese formuliert: Ich schaffe durch weniger mehr. Was heisst das konkret? Ich bin überzeugt: Führungspersonen, die Self-Leadership bewusst leben, gewinnen an Klarheit. Ich kann mich langsam aus dem Muster permanenter Verfügbarkeit und ständiger Überforderung befreien. Statt alles gleichzeitig zu machen, konzentriere ich mich auf das, was wirklich zählt. Und genau dort beginnt die Veränderung: bei uns selbst. Gemeinsam gehe ich mit meinen Freund:innen auf die Suche nach einer Lösung und versuche herauszufinden, ob wir mit weniger mehr schaffen können.»

Führungspersonen, die Self-Leadership bewusst leben, schaffen durch Priorisierung, klare Abgrenzung und gezieltes Ressourcenmanagement nicht nur mehr persönliche Balance, sondern verbessern auch messbar ihre Leistungsfähigkeit. Sie verlassen das ineffiziente Muster permanenter Verfügbarkeit und Überlastung und fokussieren sich stattdessen auf das, was tatsächlich Wirkung zeigt.

Durch diese bewusste Selbststeuerung steigt nicht nur ihre individuelle Produktivität, sondern auch die Qualität ihrer Entscheidungen, Kommunikation und Führung. Das wirkt sich direkt auf die wirtschaftliche Performance aus: Teams arbeiten klarer, gesünder und effizienter – Fluktuation sinkt, Innovationskraft steigt. Gleichzeitig fördert die persönliche Erfüllung der Führungskräfte ein motivierendes Arbeitsumfeld, das langfristig stabile Ergebnisse ermöglicht. So zeigt sich: Selbstführung ist kein Soft Topic, sondern ein strategischer Hebel für nachhaltigen Unternehmenserfolg.


«Was ich jetzt schon weiss: Diese Form von Selbstführung stärkt nicht nur meine persönliche Leistungsfähigkeit, sie wird auch die Zusammenarbeit im Team verändern. Alle im Team begegnen sich bewusster, ehrlicher, menschlicher. Negative Schwingungen nehmen ab, weil Menschen sich gesehen und ernst genommen fühlen. Es entsteht ein Umfeld, das Resilienz fördert – nicht nur als Schlagwort, sondern als gelebte Kultur.»

Wer mit weniger Aufwand klarer, gesünder und zielgerichteter handelt, schafft nicht nur mehr Output. Sondern erlebt auch mehr Erfüllung und leistet einen aktiven Beitrag zum Unternehmenserfolg.

Work, Life und Gesundheit


«Auf der Suche nach einem neuen Weg habe ich für mich den Begriff ‹Life-Balance› neu entdeckt. Das Bewusstsein, dass es nicht mehr eine ‹Work-Life-Balance› sein muss, hat vieles verändert. Dieser Ausdruck impliziert, dass Arbeit und Leben konkurrenzierende Gegensätze sind – dabei gehört doch beides zusammen. Life-Balance bedeutet für mich aktiv und reflektiert mit den verschiedenen Lebensbereichen umzugehen: Gesundheit, Familie, Freundschaften, Arbeit, persönliche Entwicklung, Erholung. Das Ziel ist kein starrer Zustand, sondern ein individuelles, stimmiges Verhältnis.»

Manchmal braucht der eine Bereich mehr Raum, manchmal ein anderer. Wichtig ist, dass wir unser Leben bewusst gestalten, in der Balance sind, statt uns einfach treiben zu lassen. Nur so können wir auf Dauer leistungsfähig, zufrieden und gesund bleiben.


«Inmitten all dieser Herausforderungen beginne ich, Entwicklungen in der Schweiz bewusster wahrzunehmen, besonders im Umgang mit Gesundheit. Denn was im Kleinen für das persönliche Wohlbefinden gilt, spiegelt sich auch im Grossen wider: Gesundheit ist nicht nur Privatsache, sondern auch eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Verantwortung.»

Gesundheit wird zur Führungsaufgabe im Unternehmen, in der Politik und im Alltag. Die steigenden Belastungen durch ständige Verfügbarkeit, Bewegungsmangel und psychischen Druck zeigen, dass wir neue Wege brauchen, um Gesundheit ganzheitlich zu fördern. Dabei geht es nicht nur um medizinische Versorgung, sondern um präventive Strukturen, gesunde Arbeitswelten und ein Bewusstsein für körperliches wie mentales Wohlbefinden.

Die Schweiz gehört zu den Ländern mit der höchsten Lebenserwartung weltweit: Frauen erreichen im Durchschnitt 85,8 Jahre, Männer 82,2 Jahre (Stand 2023). Dieser Spitzenwert ist Ausdruck eines fortschrittlichen Gesundheitssystems, guter Lebensbedingungen und eines allgemein hohen Lebensstandards. Trotz dieser positiven Kennzahlen zeigen sich zunehmend sich verändernde gesundheitliche Belastungen – sowohl physisch als auch psychisch –, die eine differenzierte Betrachtung erforderlich machen.

Der Wandel in der Gesundheitslage ist nicht zufällig, sondern Folge tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen. Im 20. Jahrhundert dominierten Infektionskrankheiten, deren Rückgang durch medizinischen Fortschritt und bessere Hygiene eingeleitet wurde. Im Gegenzug sind heute sogenannte Zivilisationskrankheiten verbreitet – ein Resultat von Wohlstand, technologischer Bequemlichkeit und urbanem Lebensstil.

Nichtübertragbare Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes Typ 2 sowie chronische Atemwegserkrankungen sind heute die Hauptursachen für Erkrankungen und Todesfälle in der Schweiz. Hinzu kommen häufige Beschwerden wie Rückenschmerzen, Arthrose oder Nackenverspannungen, die vor allem im Arbeitsalltag zu Einschränkungen führen. Etwa 42 % der Erwachsenen sind übergewichtig, davon rund 11 % adipös – ein besorgniserregender Trend, der eng mit Bewegungsmangel, unausgewogener Ernährung und sitzender Arbeitsweise zusammenhängt. Die alternde Gesellschaft verschärft diese Lage zusätzlich: Viele Menschen leiden im Alter an Multimorbidität, also mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig.

Die psychische Belastung steigt je nach Altersgruppe aus unterschiedlichen Gründen

Auch psychische Erkrankungen sind in der Schweiz weit verbreitet. Jährlich berichten etwa ein Drittel der Bevölkerung über psychische Probleme wie Depressionen, Angststörungen, Burnout oder Schlafstörungen. Besonders betroffen sind Jugendliche und junge Erwachsene, bei denen psychische Beschwerden in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Gründe dafür sind unter anderem Leistungsdruck, Zukunftsängste, soziale Vergleichsmechanismen in den sozialen Medien sowie die zunehmende Verschmelzung von Arbeit und Freizeit.

Auch bei älteren Menschen nehmen psychische Belastungen zu, häufig ausgelöst durch Einsamkeit, Verlust sozialer Rollen oder den Umgang mit körperlichen Einschränkungen. Viele dieser psychischen Belastungen bleiben jedoch unerkannt oder unbehandelt, was die individuelle Lebensqualität weiter beeinträchtigt.

Ein zentraler Treiber ist der gesellschaftliche Fokus auf Autonomie, Selbstverantwortung und Leistungsfähigkeit. Diese Werte prägen sowohl das Selbstbild als auch den Umgang mit Gesundheit. Es entsteht ein kontinuierlicher Druck zur Selbstoptimierung: körperlich, geistig und beruflich. Einerseits führt dies zu mehr Bewusstsein für Prävention und Fitness, andererseits aber auch zu Erschöpfung und Überforderung, wenn die Grenzen der Belastbarkeit übersehen werden (Abb. 1).

Self-Leadership als Skill

Die heutige Arbeitswelt ist durch schnellen Wandel, hohe Mobilität und häufige berufliche Veränderungen geprägt. Karrierewege verlaufen seltener linear, viele Menschen erleben im Laufe ihres Erwerbslebens mehrere Branchenwechsel, Projektarbeit, prekäre Beschäftigungsformen oder befristete Anstellungen. Solche Unsicherheiten führen zu mentalem Druck, besonders in Kombination mit der Erwartung, sich laufend weiterzuentwickeln und verfügbar zu sein.

Gleichzeitig verändern sich auch die gesellschaftlichen Strukturen: Das traditionelle Familienmodell ist nicht mehr der Regelfall. Immer mehr Frauen sind berufstätig, während Männer heute stärker in die Kinderbetreuung und Haushaltsführung eingebunden sind. Diese neuen Rollenerwartungen führen zu einer veränderten Alltagsrealität, in der Paare Beruf und Familie partnerschaftlich organisieren müssen. Dadurch entstehen zusätzliche organisatorische, emotionale und zeitliche Belastungen, insbesondere wenn beide Elternteile beruflich stark eingespannt sind. Die Balance zwischen Beruf, Familie und individueller Gesundheit zu halten, stellt somit eine zentrale Herausforderung dar und rückt Self-Leadership als Fähigkeit zur aktiven Lebensgestaltung noch stärker in den Fokus.


«Mir wird klar: Gesundheit ist heute längst nicht mehr nur eine medizinische Frage. Sie wird zu einer persönlichen Führungsaufgabe. Self-Leadership – das bedeutet für mich, die Verantwortung für mein eigenes Wohlbefinden aktiv zu übernehmen. Mich selbst bewusst zu steuern. Hinzuhören, was ich wirklich brauche. Meine Belastungsgrenzen zu kennen und sie ernst zu nehmen. Auf meinen Körper zu achten, genauso wie auf meine mentale Verfassung. Ich merke: Diese Fähigkeit ist nicht nur für mich zentral, sondern auch für mein Arbeitsteam und unsere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die viel verlangt und gleichzeitig viel Eigenverantwortung fordert. Für mich ist genau das zur Schlüsselkompetenz geworden: mich selbst gut führen zu können. Denn wenn ich das nicht tue, wer dann?»

Gestiegener Anspruch an Führungskräfte


«Das eigentliche Problem liegt für mich in der Balance zwischen Self-Leadership, Life-Balance und wirtschaftlicher Performance. Als Führungsperson stehe ich unter konstantem Druck: Ich soll ambitionierte Ziele erreichen, mein Team leiten und gleichzeitig dafür sorgen, dass niemand, mich eingeschlossen, auf der Strecke bleibt. Das klingt gut in der Theorie, ist aber in der Praxis ein echter Drahtseilakt. Wenn ich mich selbst vergesse, wenn ich meine eigene Entwicklung oder mein Wohlbefinden hintanstelle, drohen Stress und Erschöpfung nicht nur bei mir, sondern im ganzen Team. Und dann ist da noch der Anspruch, authentisch zu führen. Ich will inspirieren, nicht nur funktionieren. Doch wie bleibe ich bei mir selbst, wenn der Spagat zwischen Leadership und wirtschaftlicher Realität immer grösser wird? Wie schaffe ich mit weniger mehr?»

Diese Frage begleitet nicht nur Sasha. Auf der Suche stösst Sasha auf Bücher, Podcasts, Artikel und entdeckt neue Impulse: Achtsamkeit, Zeitmanagement, New Work. Manche Methoden sprechen Sasha sofort an, wie die Pomodoro-Technik oder Digital Detox. Für andere braucht Sasha eine Weile, um sie zu verstehen.


«Besonders inspirierend finde ich Gespräche mit Menschen, die selbstbestimmt arbeiten und ihren eigenen Weg gefunden haben. Und dann ist da noch die Natur. Immer, wenn ich draussen bin, spüre ich, wie mein Kopf freier wird. Hier tanke ich Energie ganz ohne Effizienzdenken. Nach und nach wird mir klar: Eine nachhaltige Life-Balance bedeutet nicht, Beruf und Privates strikt zu trennen, sondern sie bewusst zu integrieren. Ich beginne, kleine Schritte zu machen. Konsequente, aber machbare. Und plötzlich fühlt sich mein Alltag anders an. Nicht nur wie ein Funktionieren, sondern wie echtes Leben.»

Ein Schlüssel dazu liegt im Umgang mit Zeit und mit Prioritäten. Dienen kann hier das Eisenhower-Modell: vier einfache Kategorien, die Aufgaben nach Wichtigkeit und Dringlichkeit einteilen.


«Was ist wirklich wichtig? Was kann warten? Was muss ich gar nicht selbst erledigen – oder überhaupt nicht? Diese Klarheit tut gut. Ich arbeite fokussierter und lasse los, was unnötig ist. Studien belegen, dass Menschen mit dieser Methode ihre Produktivität um bis zu 25 % steigern. Ich glaube das sofort, denn ich spüre den Unterschied. Noch ein Aha-Moment: das Pareto-Prinzip. 80 % der Ergebnisse entstehen durch 20 % des Aufwands. Diese Erkenntnis verändert meine Sicht auf Arbeit. Ich frage mich nicht mehr: Wie viel schaffe ich? Sondern: Was bewirkt wirklich etwas? FrDas befreit mich auch vom ständigen Drang zur Perfektion. Ich darf reduzieren. Fokussieren. Weniger To-dos, mehr Wirkung. Auch hier bestätigen Studien: Führungskräfte, die mit Methoden wie der Eisenhower-Matrix oder dem Pareto-Prinzip arbeiten, berichten von bis zu 40 % weniger ineffizienter Arbeit und deutlich weniger Stress. Ich kann das unterschreiben.»

Life-Balance aus der Sicht der sechs Autor:innen


«Was mich besonders motiviert: Auch meine Freund:innen machen sich Gedanken. Jede:r hat eigene Wege gefunden, mit dem Spannungsfeld zwischen Leistung, Gesundheit und Selbstführung umzugehen. Wir tauschen uns aus, sprechen über unsere Ansprüche, über das, was hilft oder helfen könnte. Es entsteht ein Raum für Offenheit und echtes Lernen voneinander. Dieser gemeinsame Weg, auf dem jede:r seine eigenen Erfahrungen macht, verbindet uns. Und zeigt mir: Selbstführung ist kein Soloprojekt, sondern ein kollektiver Prozess, der uns alle stärkt. Meine Freund:innen, das sind Anja, Christian, Marc, Manuel, Hans und Andi. Sie inspirieren mich immer wieder und wir können viel voneinander lernen, wenn wir offen sind für Neues. Um meine Fragestellung zu beantworten, haben sie mit mir ihre Methoden geteilt, die für sie eine effektive Verbesserung gezeigt haben.»

Klarheit und Grosszügigkeit sich selbst gegenüber

Anja ist 41 Jahre alt, lebt in Partnerschaft und ist Mutter von zwei Kindern. Sie arbeitet als Teamleiterin in der Marketingkommunikation im Detailhandel.

Für sie beginnt Selbstführung mit Klarheit: Sie unterscheidet konsequent zwischen Aufgaben, die sie selbst erledigen muss, solchen, die sie delegieren kann, und Tätigkeiten, die nicht sofort notwendig sind. Diese Priorisierung verschafft ihr den Fokus und verhindert Überforderung. Auch privat lebt Anja diese Disziplin: Sie plant bewusst Zeiten für Bewegung und Erholung, etwa durch Yoga oder Laufen in der Natur. Im Familienalltag setzt sie auf faire Aufgabenteilung mit ihrem Partner und schafft so Raum für Quality-Time. Dabei verfolgt sie einen gesunden persönlichen Anspruch – sie setzt sich erreichbare Ziele und bleibt gleichzeitig grosszügig mit sich selbst. Nicht jeder Tag läuft perfekt, und das ist für Anja in Ordnung. Sie begegnet sich selbst mit Verständnis und Geduld – eine Haltung, die ihre Selbstführung stärkt und ihr Leben in Balance hält.

Körperliche Gesundheit als Basis der Führung

Christian ist 44 Jahre alt, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er ist Gründer in der Medienbranche.

Für ihn ist körperliche Gesundheit ein zentraler Anker für berufliches und privates Gleichgewicht. Er integriert Bewegung, Sport und Entspannung bewusst in seinen Alltag – nicht als Auszeit, sondern als festen Bestandteil seiner Life-Balance. Der Tag beginnt bestenfalls für ihn mit Dehnübungen oder Körpertraining, noch bevor Familien- oder Arbeitsaufgaben anstehen. Diese Selbstfürsorge betrachtet er als notwendige Investition, um langfristig leistungsfähig, beweglich und schmerzfrei zu sein. Sein Anspruch: rechtzeitig handeln, um Spätfolgen zu vermeiden. Christian verändert den Blick auf diese Anstrengungen: Aus mühsamen Übungen werden bewusste Stärkungsrituale. Er muss sich nicht stärken oder dehnen, sondern er will. Sein Körper ist für ihn nicht nur Funktionsträger, sondern ein aktiver Teil seines Wohlbefindens. Darum betrachtet er Gesundheitszeit nicht als Luxus, sondern als aktiven Beitrag für sich, seine Familie und seine Arbeit.

Struktur durch bewusstes Zeitmanagement

Marc ist 24 Jahre alt, lebt in Partnerschaft und arbeitet als Filialleiter im Detailhandel.

Er setzt auf Timeboxing – eine Methode, bei der er für jede wichtige Aktivität ein festes Zeitfenster einplant. So entsteht ein strukturierter Tagesablauf, der nicht von äusseren Reizen oder spontanen Anforderungen dominiert wird, sondern von innerer Klarheit. Das Timeboxing hilft ihm, den Fokus zu halten und seine Energie gezielt auf das Wesentliche zu richten. Es geht dabei nicht um reine Effizienz, sondern um bewusstes Gestalten: Marc investiert täglich Zeit in Dinge, die ihn erfüllen. Und reduziert damit nicht nur Entscheidungs- müdigkeit, sondern auch das Gefühl, getrieben zu sein. Sein Anspruch: Zeit als wertvolle Ressource verstehen und gezielt für das einsetzen, was wirklich zählt. So schafft Marc sich Freiräume – und lässt viele unwichtige Aufgaben einfach weg.

Selbstführung mit Sinn durch Ikigai

Manuel ist 49 Jahre alt, alleinerziehender Vater einer Tochter und arbeitet eigenständig in den Bereichen Gesundheit und Unternehmensberatung.

Er stand nach einem Jobverlust vor der Frage, wie er seinen weiteren Weg gestalten will – und entschied sich bewusst fürs Innehalten. Durch die Methode Ikigai, die vier zentrale Lebensfragen vereint (Was liebe ich? Worin bin ich gut? Wofür kann ich bezahlt werden? Was braucht die Welt?), fand er neue Orientierung. In einem intensiven Prozess entdeckte er, dass er nicht einfach einen neuen Job wollte, sondern mit Sinn und Substanz wirken möchte. Ikigai wurde für ihn zum inneren Kompass für selbstbestimmte Entscheidungen – beruflich wie privat. Sein Anspruch: nicht fremdbestimmt funktionieren, sondern eigenverantwortlich gestalten. Manuel orientiert sich an seinem inneren Kompass und trifft Entscheidungen aus Überzeugung, nicht aus Anpassung. Für ihn ist Selbstständigkeit kein Rückzug, sondern Ausdruck aktiver Selbstführung – getragen von Dankbarkeit, Sinnhaftigkeit und Verbundenheit.

Klarer Start in den Tag als Ritual der Selbstführung

Hans ist 42 Jahre alt und Vater von drei Kindern. Er arbeitet als Commercial Head in der Pharmaindustrie.

Er beginnt seinen Tag bewusst – mit einem Glas Wasser und einem Spaziergang vor der Haustür. Dieses Ritual hilft ihm, Körper und Geist zu aktivieren und mit Klarheit und Ruhe in den Tag zu starten. Für Hans ist diese Morgenroutine mehr als Gewohnheit: Sie ist Ausdruck seines Anspruchs, sein Leben aktiv und selbstbestimmt zu gestalten. Er strebt nicht nach Perfektion, sondern nach Fortschritt. Mit Verantwortung für seine Gesundheit, seine Zeit und sein Umfeld möchte er klar und mit Freude wirken – in Beruf und Privatleben. Was er tut, soll sinnvoll sein – und wie er es tut, soll im Einklang mit seinen Werten stehen.

Achtsamkeit durch digitale Abgrenzung

Andi ist 44 Jahre alt, lebt in Partnerschaft und ist Co-CEO in der Medienbranche.

Durch bewusste digitale Selbstführung schützt er seine Aufmerksamkeit. Er setzt auf blockierte Zeiten ohne Bildschirm, gezielte Handy-Pausen und regelmässige Meditation. Für ihn ist diese Praxis keine Einschränkung, sondern eine Strategie zur Fokussierung. In einer Welt voller Reize schafft sich Andi Inseln der Präsenz – um ganz im Moment zu bleiben. Sein Anspruch: Achtsam und wirksam handeln, ohne sich im digitalen Dauerstrom zu verlieren. So gelingt es ihm, bei sich zu bleiben – und den Tag bewusst zu gestalten, statt getrieben zu reagieren.

Das Selbstversuch-Karussell


«In einem weiteren Schritt auf unserer gemeinsamen Reise habe ich meine Freund:innen herausgefordert: Jede:r sollte eine Self-Leadership-Methode testen, die zuvor von einer Kollegin erfolgreich angewendet wurde. Mir ging es darum, dass wir uns gegenseitig inspirieren – und gleichzeitig herausfinden, was in der eigenen Lebensrealität wirklich funktioniert. Ich wollte wissen: Welche Ansätze lassen sich übertragen? Wo liegen individuelle Grenzen? Dieser gemeinsame Selbstversuch hat uns viele neue Perspektiven eröffnet. Die Erfahrungen waren so unterschiedlich wie wir selbst, und genau das hat mir nochmals bestätigt: Selbstführung ist ein persönlicher Prozess. Es gibt nicht die eine Methode. Was zählt, ist das Ausprobieren, das Reflektieren und der Mut, den eigenen Weg zu finden.»

Hier die sechs Testberichte.

1. Wie Achtsamkeit im Alltag wirklich funktioniert

Anja etwa wollte das bewusste, digitale Abschalten am Morgen übernehmen – doch schnell stellte sich heraus, dass ihre Lebensrealität mit kleinen Kindern dieses Ritual kaum zulässt. Statt aufzugeben, verlagerte sie ihre Achtsamkeit in den Abend: Handy in den Flugmodus, zehn Minuten Meditation, etwas Yoga. Dieser Abendritual-Selbstversuch führte bei ihr zu mehr innerer Ruhe und wurde rasch zu einem persönlichen Anker im Alltag.

Christian versuchte ebenfalls, die morgendliche Meditation zusätzlich in seinen Alltag zu integrieren und musste feststellen, dass Schlaf in seiner aktuellen Lebensphase mit zwei kleinen Kindern schlicht Priorität hat. Trotz guter Absicht entschied er sich in den meisten Fällen gegen die Meditation und für zusätzliche Minuten Ruhe. Für ihn ein wichtiges Learning: Selbstführung bedeutet auch, sich realistische Ziele zu setzen – und Phasen im Leben zu akzeptieren, in denen andere Bedürfnisse vorgehen.

Auch Hans testete diese ihm neue Meditations-Routine. Trotz guter Intention gelang es ihm nur an drei von sieben Tagen, die Übung durchzuführen. Er merkte, dass die Audio-Affirmationen nicht seinem Naturell entsprechen und seine Gedanken immer wieder abschweifen. Trotzdem erkennt er den Wert der Methode – wenn auch nicht für seine aktuelle Situation. Für Hans war der Test eine klare Bestätigung dafür, dass aktive Entspannungs-Methoden besser zu ihm passen als stille, passive Praktiken.

2. Der morgendliche Spaziergang

Marc wiederum liess sich von Hans Ansatz auf morgendliche Bewegung antreiben. Eine Woche lang ging er seinen Arbeitsweg zu Fuss – rund 2,5 Kilometer pro Strecke. Diese 30 Minuten am Morgen taten ihm sichtlich gut: Sie ermöglichten es ihm, den Tag klar zu strukturieren, Bewegung zu integrieren und ganz nebenbei sein Schrittziel zu erreichen. Auch wenn Wetter und Zeitdruck manchmal Störfaktoren waren, empfand Marc diesen Versuch als klaren Gewinn – und will diese Praxis beibehalten.

Andi liess sich ebenfalls vom morgendlichen Spaziergang inspirieren – und war positiv überrascht: Der Spaziergang wurde für ihn zu einem kleinen Geschenk an sich selbst, wie ein mentaler Reset-Knopf. Ganz bewusst den Boden unter den Füssen wahrnehmen, dem Vogelgezwitscher und den Stadtgeräuschen lauschen. Das reale Wetter wahrnehmen, statt noch im Bett auf dem grell leuchtenden Handydisplay den Wetterbericht zu lesen – Dinge, die bei ihm sonst leicht im digitalen Rauschen untergehen. Auch wenn To-do-Listen und anstehende Termine im Kopf aufploppten, schenkte ihm diese halbe Stunde Klarheit, Präsenz und ein Gefühl von Freiheit. Der Morgenspaziergang half ihm, seinen Drang zur digitalen Reizaufnahme zu unterbrechen – und wurde so zu einem einfachen, aber wirksamen Einstieg in mehr Achtsamkeit.

3. Timeboxing zur Fokussierung

Manuel testete das Timeboxing, das ursprünglich von Marc stammt. In 90-Minuten-Blöcken plante er seine Tage – mit dem Ziel, fokussierter zu arbeiten. Anfangs stellte sich spürbar mehr Struktur ein, doch nach einigen Tagen erkannte Manuel auch die Grenzen des Modells: Kreative Prozesse liessen sich nur schwer in starre Zeitfenster pressen. Sein Fazit: Timeboxing ist ein hilfreiches Werkzeug für Phasen, in denen Struktur gefragt ist – sollte aber mit Augenmass eingesetzt werden, wenn Freiraum und Flow wichtig sind.

Selbstführung als Notwendigkeit, nicht als Option


«Für mich ist heute klar: Selbstführung ist kein Luxus – sie ist eine Lebensstrategie. In einer Welt voller Reize, Erwartungen und ständiger Verfügbarkeit reicht Effizienz allein nicht aus. Es braucht Klarheit, Fokus und bewusste Entscheidungen. Dabei habe ich gelernt: Selbstführung funktioniert nicht von selbst. Sie ist wie ein Muskel – am Anfang schwach, aber mit Übung wird er stärker. Struktur, Reflexion und Abgrenzung sind meine wichtigsten Werkzeuge geworden. Und: Es geht nicht um Perfektion, sondern ums Dranbleiben.»

Meine Erfahrungen, aber auch die von Anja, Christian, Hans, Marc und Andi zeigen: Es gibt nicht den einen Weg. Selbstführung ist individuell – aber sie verbindet uns im Wunsch, bewusst zu leben und zu führen.

Dass der Weg das Ziel sei, wusste schon Konfuzius. Denn am Ende geht es nicht darum, alles im Griff zu haben – sondern darum, bewusst zu leben, mit sich selbst in Verbindung zu bleiben und Schritt für Schritt den eigenen Weg zu gestalten.


Quellen

Bundesamt für Statistik BFS (2023). Lebenserwartung bei Geburt nach Geschlecht. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle/lebenserwartung.html

Bundesamt für Statistik BFS (2022). Psychische Gesundheit in der Schweiz. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/gesundheitszustand/psychische.html

Schuler, D., Tuch, A., Sturny, I. & Peter, C. (2024, November 26.). Monitoring psychische Gesundheit. Kennzahlen 2022. Schweizerisches Gesundheitsobservatorium Obsan. https://www.obsan.admin.ch/sites/default/files/2024-11/obsan_bulletin_2024_11_d.pdf

Bundesamt für Statistik BFS (2024): Gesundheit. Taschenstatistik 2024. https://www.bfs.admin.ch/asset/de/30465879