Leadership Essays 2022

Flower Power: Leadership durch die Blume

Von Emmanuel Bucher, Morena Inäbnit, Lukas Lutz, Nadja Mauchle, Sabine Prodan und Carmen Skalsky

“If a flower doesn’t bloom, you fix the environment in which it grows, not the flower.” (Alexander den Heijer)

Gartenarbeit braucht Zeit und erfordert eine Leidenschaft für die Thematik. Ähnlich funktioniert es auch beim Thema Leadership: Führungspersonen, die ermächtigend leiten wollen, müssen dafür ein Verständnis entwickeln und auch die nötige Zeit in die Gestaltung der positiven Rahmenbedingungen investieren. Ähnlich wie die Gärtner:in das Wachsen nicht beeinflussen, sondern sich lediglich um einen guten Nährboden kümmern kann, so kann eine Führungsperson durch ihr Tun und Handeln nicht die nötige Kultur, sondern lediglich die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Der Boden muss zuerst fruchtbar sein, damit Blumen wachsen können.

Der hier vorliegende Essay untersucht Herausforderungen und Lösungsansätze für Situationen, in denen Führungspersonen Verantwortung abgeben und ihre Mitarbeitenden ermächtigen, eine Co-Leadership-Rolle einzunehmen.

Warum blühen Mitarbeitende nicht auf?

«Was soll ich denn jetzt machen? Ich weiss gar nicht, wie ich darauf reagieren soll.» Daniel schaut Cléo verzweifelt an und nippt an seinem Spritz. «Das neue Projekt ist zwar spannend, aber wie soll ich das alles unter einen Hut kriegen? Ich weiss gar nicht, ob ich der Leitungsaufgabe in diesem Projekt überhaupt gewachsen bin.» Daniel hat sich als engagierter und pflichtbewusster Mitarbeiter schnell einen guten Namen gemacht. Sein Vorgesetzter hat ihn ausgewählt, den Bereich Kommunikation in einem neuen Projekt zu leiten, da er kontaktfreudig ist und sehr gut kommunizieren kann. Da ihm die Qualität seiner Arbeit wichtig ist, ärgert er sich sehr über eigene Fehler oder unerledigte Aufgaben. Neben der allgemeinen Verunsicherung ist Daniel auch sehr streng mit sich selber und dadurch immer etwas gestresst. Dies führt dazu, dass er ungern neue Aufgaben übernimmt, um sich nicht zusätzlich exponieren zu müssen.

Cléo sagt: «Keine Ahnung, Daniel, warum traust du dir das denn nicht zu? Du hast es doch gut in deinem Team und machst deinen Job super – warum solltest du das nicht hinkriegen?» Cléo klingt etwas genervt darüber, dass Daniel die Gelegenheit nicht beim Schopf packt. Einerseits wünscht sie sich ein solches Angebot ihres Vorgesetzten, gleichzeitig ist sie nicht sicher, ob sie darauf einsteigen würde. Cléo ist sehr talentiert und eine geborene Kund:innenbetreuerin, doch ihre Aufgaben sind für sie zur Gewohnheit geworden. Manchmal langweilt sie ihr Job, sodass sie ungenau arbeitet und ihr oft Fehler unterlaufen. Das Verhältnis zu ihren Teamkolleg:innen ist deshalb angespannt und sie scheut sich davor, sich mit einer Führungsaufgabe ihrer Kritik noch stärker auszusetzen. Er sagt: «Na du hast gut reden: Du wickelst mit deiner Sprachgewandtheit und deinem Charme jede und jeden um den Finger. Ich habe einfach Panik, wenn ich an die ganze Verantwortung denke.»

Oftmals bieten sich im Berufsleben Chancen, die einen mutigen Schritt ins Ungewisse erfordern, um sich weiterzuentwickeln und mehr Verantwortung zu übernehmen – manchmal auch getarnt in Form von Hürden. Die hypothetische Szene zwischen Daniel und Cléo steht exemplarisch für die Herausforderungen, mit denen sich viele Mitarbeiter:innen in Unternehmen konfrontiert sehen. Sie trauen sich nicht, zusätzliche Verantwortung zu übernehmen, da sie sich nicht zusätzlich exponieren wollen und weil ihnen die Sicherheit fehlt.

Kontext

Seit 2020 beschreibt das Akronym BANI unsere komplexe Gegenwart. Es besteht aus den englischen Begriffen brittle, anxious, non-linear und incomprehensible und beschreibt die Welt damit als brüchig, ängstlich, nicht linear und unbegreiflich. Die Herausforderungen eines Unternehmens in der BANI-Welt werden immer komplexer, sodass sie nicht mehr von Führungspersonen im Alleingang bewältigt werden können. Klassische Organisationsformen mit einer hierarchischen Struktur erweisen sich als zu wenig agil. Sie sind oft träge, weil lange Entscheidungswege Zeit brauchen und deshalb wenig effizient sind. Um in der heutigen Welt von BANI erfolgreich zu sein, müssen also neue Arbeitsformen entwickelt werden.

Um Verantwortung auf mehrere Schultern zu verteilen, braucht es Führungspersonen, die ihre Mitarbeitenden ermächtigen. Es braucht eine ermächtigende Führungskultur: Empowering Leadership.

Boris Kasper, Change- und Business-4.0-Experte und Inhaber einer Fortschrittsagentur, beschreibt Empowering Leadership als ein zentrales Erfolgsprinzip für Unternehmen. Führungspersonen trainieren ihre Mitarbeitenden darin, sich selbstständig zu effizienten Teams zusammenzufügen und Arbeitsabläufe auf verschiedene Anforderungen anzupassen. Es ist sinnvoller, mit der Intelligenz der Fachteams Entscheidungen zu treffen, als sie einzelnen Führungskräften zu überlassen. Fachteams setzen sich aus Personen zusammen, welche verschiedene Erfahrungen und Expertisen mitbringen. Sie begegnen komplexen Problemen mit viel mehr Wissen als einzelne Entscheidungstragende. Auf diese Weise kann einer immer komplexer werdenden Welt begegnet werden.

Innerhalb von Teams gibt es wertvolle Mitarbeitende wie Cléo und Daniel, die das nötige Wissen mitbringen, um im Team kreative Lösungen zu finden. Sie haben das Potenzial, als Co-Leitende Verantwortung für das Unternehmen zu tragen und es voranzubringen. Doch sie bringen sich aus unterschiedlichen Gründen nicht ein. Welche sind die Hindernisse, die diese Mitarbeitenden hemmen, und was brauchen sie für ihre Entwicklung? Wie können Führungspersonen eine Umgebung schaffen, in der sich die Mitarbeitenden damit wohlfühlen, sich einzubringen und Verantwortung zu übernehmen?

Empowerment

Nehmen wir also Boris Kasper beim Wort und gehen dem Empowering Leadership nach. Der Begriff «Empowerment» bezeichnet Strategien, welche die Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen erhöhen und ihnen ermöglichen, ihre Interessen selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu leben. Doch was beinhaltet Empowerment eigentlich? Empowerment ist ein weitreichender Begriff, der aus verschiedenen Perspektiven verstanden werden kann. Die folgende Grafik schärft den Begriff im Unternehmenskontext und zeigt, dass Empowerment nicht nur in der Hand der Führungsperson liegt. Auch die Teammitglieder haben die Möglichkeit, grossen Einfluss auf Empowerment zu nehmen.

Abb. 1: Matrix Perspektiven des Empowerments (eigene Darstellung)

Empowerment kann also auf verschiedene Weisen gelebt werden. Empowering Leadership liegt hingegen in der Hand der Führungsperson und umfasst die Handlungen in der ersten Spalte. Die Führungsperson ermöglicht hierbei eine bestimmte Struktur; ein Umfeld, in dem eine «empowernde» Kultur gedeihen kann. Sie widmet sich sozusagen der Gartenarbeit, damit die Blumen blühen können. Der vorliegende Text versteht Empowerment übergeordnet für die deutschen Begriffe «Ermächtigung», «Befähigung» und «Ermutigung».

Wissenschaft

Der Autor Ken Petti benutzt seine Aussage «every flower blooms in its own time» als Bild für die Entwicklung der Menschen. Das ist eine gute Nachricht, die sich aus der Wissenschaft bestätigen lässt:

Menschen sind, so wie alles Leben, intrinsisch getrieben zu wachsen und sich zu entfalten.

Die Theorie der Selbstbestimmung (Self-Determination Theory SDT, 1985) der beiden US-amerikanischen Psychologen Deci und Ryan geht davon aus, dass Menschen aktive Organismen sind mit einem natürlich angelegten Drang, sich weiterzuentwickeln, die Herausforderungen der Umgebung zu meistern und neue Erfahrungen in ein kohärentes Selbstgefühl zu integrieren. Warum lassen sich also Menschen wie Cléo und Daniel nicht auf die Herausforderungen ein? Die psychologische Forschung gibt viele Hinweise darauf, warum Menschen mit dem Potenzial, eine Aufgabe zu meistern, dies nicht tun. Sie geht davon aus, dass der Mensch Grundbedürfnisse hat, deren Befriedigung vorausgesetzt wird, bevor eine Leistung erbracht werden kann.

Der Psychologe Klaus Grawe beschreibt beispielsweise den Wunsch, den eigenen Selbstwert zu schützen, als Grundbedürfnis unserer Spezies. Anders ausgedrückt:

Menschen sind bestrebt, sich kompetent, wertvoll und von anderen geschätzt zu fühlen.

Mitarbeitende in einem Team möchten also Situationen vermeiden, in denen das eigene Selbstwertgefühl bedroht wird. Wenn jemand bei einer Aufgabe Angst hat, Fehler zu machen oder zu scheitern, warum sollte diese Person sie dann angehen wollen? Aus psychologischer Sicht kann also der Selbstschutzmechanismus dem Wunsch, Verantwortung zu übernehmen, entgegenwirken.

Als weiteres psychologisches Grundbedürfnis definiert Grawe den Wunsch nach Orientierung und Kontrolle. Anders gesagt:

Menschen wünschen sich eine sichere Umwelt, die einigermassen vorhersagbar ist und auf die man Einfluss ausüben kann.

Er bezieht sich dabei auf Banduras Begriff der Selbstwirksamkeitserwartung. In Daniels Beispiel ist die Selbstwirksamkeitserwartung ein zentraler Aspekt. Er scheut sich, die Verantwortung für das Projekt zu übernehmen, weil er es sich nicht wirklich zutraut. Er hat aber schon viele Aufgaben bewältigt, welche seine Fachkompetenz beweisen. Allerdings ist er nicht sicher, ob er die Leitungsaufgabe übernehmen soll, weil er daran zweifelt, was er alles bewirken kann. Wird sich das Team von ihm führen lassen? Kann er die Projektschritte pünktlich umsetzen?

Ein weiterer zentraler Begriff kommt aus dem Beispiel von Cléo hervor und bezieht sich auf den Menschen als Teil eines Teams: die psychologische Sicherheit.

Amy Edmondson definiert die psychologische Sicherheit als die von allen Teammitgliedern geteilte Überzeugung, dass man sich sicher fühlen kann, wenn man im Team interpersonale Risiken eingeht.

Edmondson erklärt, dass Menschen, wenn sie sich in Teams oder gegenüber Autoritäten äussern, ein persönliches Risiko eingehen. Ihnen könnte nicht zugehört werden oder ihre Äusserung bzw. sie selber könnten als dumm bewertet werden. Die Konsequenz wäre ein Gesichtsverlust, eine Beschädigung des Selbstwerts. Solche Konsequenzen vermeiden Menschen aus einem natürlichen Impuls heraus.

Damit Cléo sich in ihrem Team wieder mehr einbringt, würde eine psychologische Sicherheit voraussetzen; die Überzeugung, dass ihre Äusserungen oder Bemühungen nicht gegen sie verwendet, sondern immer als Beitrag zur gemeinsamen Lösungsfindung gewertet würden.

Zusammenfassend lässt die Forschung folgende Schlüsse zum Willen eines Menschen zu, Potenzial zu zeigen und Einsatz zu leisten:

  • Schutz des eigenen Selbstwertes
  • Wunsch nach Orientierung und Kontrolle
  • psychologische Sicherheit im Team

Daraus lässt sich schliessen, dass Mitarbeitende ihre Ideen und ihr Wissen zurückhalten, wenn sie Angst haben, sich blosszustellen, etwas zu verlieren oder sowieso nichts bewirken zu können. Hier hat eine Führungsperson die Möglichkeit, den Hebel anzusetzen: Wie kann der Arbeitsort bzw. das Team zu einem sicheren Ort werden, an welchem Mitarbeitende Einfluss nehmen und sich zeigen können?

Befragung

Die Ergebnisse der psychologischen Forschung erscheinen so schlüssig, dass man sich wundert, warum sie nicht in allen Teams, an allen Arbeitsplätzen und allen organisatorischen Strukturen völlig natürlich umgesetzt werden. Um diesem Phänomen nachzugehen, wandten wir uns an Menschen, die in Teams arbeiten. Wir befragten sie, wie sie sich selber bezüglich des Ausschöpfens ihres Potenzials an verschiedenen Arbeitsplätzen erlebt haben und welche Bedingungen oder Umstände dabei relevant für sie waren.

Die Antworten aus den Interviews waren so breit wie vielschichtig. Genannte Aspekte wie «Vertrauen», «Wertschätzung», «Loyalität», «Gestaltungsraum», «Transparenz», «gemeinsame Ziele» oder «persönliche Beziehungen auf Augenhöhe» lassen sich auf zwei Nenner reduzieren: einerseits die Ermutigung und anderseits die Schwarmintelligenz eines Teams, welche auch mit dem Begriff «WeQ» bezeichnet wird.

Abb. 2: Grafische Interpretation der Cluster-Ergebnisse aus den Befragungen

Zwar entsprach unsere Ergebung eher einer losen, nicht-repräsentativen Umfrage, doch die Antworten konnten die in der Psychologie beschriebenen Phänomene bestätigen und verständlich machen.

Menschen brauchen Ermutigung. Diese kann entweder von ihren Vorgesetzten oder aus ihrem Team kommen.

Ermutigung fördert den Selbstwert und stärkt Menschen darin, Aufgaben anzugehen, deren Ausgang ungewiss ist. Die Unterstützung aus dem Team ist dabei von grosser Bedeutung, sowohl im Sinne der Ermutigung als auch als Ressource von Wissen, Methoden und Rückhalt. Wenn das Team eine Quelle psychologischer Sicherheit ist, ist der Mensch eher bereit, persönliche Risiken einzugehen.

Neben den drei oben erwähnten Erkenntnissen aus der Literaturrecherche – Schutz des eigenen Selbstwertes, Wunsch nach Orientierung und Kontrolle, psychologische Sicherheit im Team – kristallisieren sich aus der Befragung zusätzlich die Begriffe «Ermutigung» und «Schwarmintelligenz» heraus. Vertiefen wir also die identifizierten Faktoren «Ermutigung» und «Befähigung durch das Team/Schwarmintelligenz» und überlegen uns, wie sie für Führungspersonen hilfreich sein können.

Ermutigung

Seit zwei Jahren ist Peter Daniels Vorgesetzter. Er schätzt seinen Mitarbeiter, der so anders ist als er selber, und fühlt sich von ihm immer wieder herausgefordert. Da er fast doppelt so alt ist wie Daniel, fühlt er sich manchmal von seinem Talent bedroht, auch wenn er als aktiver Alpinsportler sehr junggeblieben ist. Darum hat er auch lange gezögert, das nun anstehende Gespräch zu führen. Er springt jedoch über seinen Schatten: «Daniel, ich weiss, dass ich mich nicht oft äussere, aber ich mache mir natürlich viele Gedanken. Mir fällt auf, wie sehr du dich für das Team und für deine Aufgaben einsetzt. Du leistest wirklich tolle Arbeit.»

Wem eine Herausforderung zugetraut wird, fühlt sich in der eigenen Kompetenz gestärkt und geschätzt und glaubt selber eher daran, die Aufgabe tatsächlich bewältigen zu können.

Daniel ist einen Moment lang sprachlos – das kommt selten vor. Peter nimmt die Gelegenheit wahr und spricht weiter: «Du hast einen guten Draht zu den Mitarbeitenden und nimmst ihre Bedürfnisse wahr – das ist eine wichtige Führungseigenschaft. Gleichzeitig verlangst du Qualität in der Arbeit und hast immer eine gute Idee parat. Meines Erachtens bist du perfekt für die Leitung des Kommunikationsprojektes geeignet und das Projekt ist deine Chance, dich weiterzuentwickeln. Ich würde mich sehr freuen, wenn du zusagst.»

Daniel ist noch immer verblüfft. «Ich wusste nicht, dass du so über mich denkst. Da du oft Aufgaben gleich selber und sehr kompetent erledigst, dachte ich, du seist nicht so überzeugt von mir. Danke für diese Rückmeldung.» Peter ist etwas verlegen, aber er sieht Daniel an, dass er die neue Herausforderung übernehmen wird. Er lächelt stolz und stärkt ihm weiter den Rücken: «Ich bin jederzeit für Dich da, dich zu unterstützen und dir zur Seite zu stehen, um Unvorhergesehenes oder grosse Hürden im Projekt erfolgreich zu meistern.»

Im Beispiel von Peter und Daniel ist gut ersichtlich, was eine ermutigende Zusage und ein wertschätzendes Feedback auslösen können. Eine häufig beobachtbare Haltung von Führungspersonen ist: «Das sollte doch klar sein» oder «Wenn ich nichts anderes sage, ist alles gut». Nebst dem oben erwähnten Zutrauen sind Rückhalt, Gestaltungsfreiraum und wertschätzende Aussagen weitere fruchtbare Ermutigungen.

Befähigung zur Schwarmintelligenz

Ein Team kommt gemeinsam auf mehr Ideen als eine einzelne Person. Ausserdem fallen durch die Vielzahl der Perspektiven blinde Flecken eines Einzelnen in der Regel weniger stark ins Gewicht. Gemeinsam kann das Team deshalb Aufgaben noch besser lösen und sich gegenseitig mit Wissen unterstützen.

Wer sich mit einer Herausforderung konfrontiert sieht, packt diese eher an, wenn sie oder er den Rückhalt anderer Menschen spürt.

Das Team hat die smarte Cléo noch nie so gesehen. Sie ärgert sich darüber, dass sie keinen Beitrag für das Projekt leisten konnte, der ihren Stärken entspricht. «Ich weiss ja, dass ich die Dokumentation in den Sand gesetzt habe, aber das ist echt nicht mein Ding.» Andrea schaut kritisch in die Runde und findet: «Sag das doch früher – ich liebe es, Dokumentationen zu schreiben. Da kann ich mich vertiefen und die Welt ausblenden.»

Einen Moment lang schweigen die fünf Mitglieder in Cléos Team und ein Hoffnungsschimmer macht sich breit. Felix wirft ein: «Hey, was haltet ihr davon, wenn wir uns mal Gedanken über die Aufgabenteilung in unserem Team machen? Vielleicht können wir unsere Stärken besser nutzen. Ich habe nämlich so meine Mühe, mit unzufriedenen Kund:innen Lösungen zu suchen, und Cléo ist da voll im Element.» Jetzt meldet sich auch Lea zu Wort: «Die Idee gefällt mir. Vielleicht können wir dann auch gleich überlegen, wie wir besser zusammenarbeiten und uns austauschen können. Mir fehlt nämlich unser Teamspirit.»

Cléo spürt das erste Mal seit langem einen Rückhalt in ihrem Team. Sie ahnt, wie sich ihre Laune zum Abend hin deutlich heben könnte, und schlägt vor, zusammen ein Feierabendbier trinken zu gehen. Vielleicht ergäben sich dabei schon erste Ideen, wie man das gemeinsame Arbeiten verbessern könnte.

So spielen die beiden Faktoren Ermutigung und Schwarmintelligenz eine zentrale Rolle, um Menschen für Co-Leadership zu motivieren. Ein Blick in den digitalen Wissenskosmos legt nahe, dass die bisherigen Ausführungen keine bahnbrechenden Neuigkeiten sind. Doch wie kommt es, dass so viele Menschen wie Cléo in ihrem Arbeitsumfeld demotiviert oder wie Daniel gehemmt und verunsichert sind? Wenn man all diese Zusammenhänge kennt und sogar eine Fülle von Werkzeugen im Internet findet, wie diese Themen im Alltag angegangen werden können – warum wird das Wissen oftmals trotzdem nicht transferiert? Eine mögliche Antwort auf diese Fragen haben wir in unserem eigenen Teamprozess entdeckt.

Teamprozess

Wenn Menschen miteinander arbeiten, setzen sie sich mit der Aufgabe, dem Prozess und den verschiedenen Charakteren im Team auseinander. Konflikte sind dabei natürlich und wichtig. Während der Zusammenarbeit der Autor:innen traten die Konflikte jedoch erst zu einem ziemlich späten Zeitpunkt an die Oberfläche.

Während einer Feedbackrunde kam die Erkenntnis, dass wir uns zwar mit dem vorliegenden Thema befassen, es aber im Entstehungsprozess selbst nicht anwenden und leben. Nach einem aufs Team fokussierten Start nahmen der Zeitdruck und der Fokus auf das Endergebnis zunehmend mehr Platz und Ressourcen ein als jener auf die gute Zusammenarbeit und den Teamspirit. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass dies wahrscheinlich nicht nur uns passiert, sondern sehr vielen Teams in verschiedensten Unternehmen und Institutionen.

Die Werkzeuge und Methoden, um eine positive und ermutigende Teamkultur zu schaffen, sind zwar bekannt, doch oft noch zu wenig im Alltag verankert und zu wenig wichtig bewertet.

Es herrscht vielerorts noch keine Kultur der Ermutigung und Schwarmintelligenz. Vor allem bei neuen Teamkonstellationen und Prozessen braucht es seine Zeit, bis die Mechanismen zu greifen beginnen. Es benötigt also ein regelmässiges Praktizieren und Anwenden dieser Methoden im Alltag. So wird das Handeln der Führungsperson zur Haltung und kann als Vorbild dem Team dienen und es positiv beeinflussen.

Wissenstransfer

Der Teambildungsprozess unserer eigenen Gruppe hat vor Augen geführt, dass bereits viele Erkenntnisse und unzählige kreative Tools vorhanden sind. Es ist der Transfer der Erkenntnisse in die Teamarbeit und die konsequente und frühzeitige Anwendung der spezifisch dafür entwickelten Tools, die oftmals einen Schwachpunkt darstellen.

Warum haben wir uns als Team nicht proaktiv daran orientiert und Empowerment-Methoden gelebt? Sogar als sensibilisierte Personen, die sich aktuell mit dem Thema beschäftigen, haben wir es verpasst, der Teamdynamik die nötige Aufmerksamkeit zu schenken. Wie geht es also den Führungspersonen in hierarchischen Unternehmen, die vielleicht sogar Respekt davor haben, solche Methoden «überhaupt» in den Berufsalltag einzubringen?

Oft beginnen Teams erst dann zu überlegen, was sie für die Gruppendynamik und Teamkultur tun können, wenn bereits die ersten Risse erscheinen. Die natürliche Haltung ist eher reaktiv und nicht proaktiv. Noch häufiger werden Konflikte einfach ausgesessen oder die betroffenen Personen sich selbst überlassen. Bestimmt spielt der Zeitdruck eine Rolle. Um möglichst effizient zu sein, soll keine Zeit verloren werden. Doch in der Regel rächt es sich, wenn der Zusammenarbeit zu wenig Raum zukommt.

Es geht nicht darum, Konflikte grundsätzlich zu vermeiden, sondern eine Teamkultur zu schaffen und pflegen, welche die Mitarbeitenden dazu ermutigt, befähigt und ermächtigt, ihr Potenzial auszuschöpfen und sich zu zeigen.

Dabei übernehmen die Führungspersonen eine wichtige, moderierende Rolle ein. Sie sollen diese Prozesse aktiv einleiten, begleiten und positiv gestalten. Es ist wichtig, dem kritischen Austausch im Team Raum und Zeit zu geben.

Dazu müssen die oben genannten Erkenntnisse in den Teamalltag einfliessen. Diese sollten so stark im Arbeitsalltag integriert werden, dass sie in Fleisch und Blut des Teams übergehen. Dies ist nur möglich, wenn sie zur Gewohnheit werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Führungsperson sich permanent mit der Teamkultur auseinandersetzt und sie als zentralen Aspekt des Leaderships wertet. Im Sinne eines hebräischen Sprichwortes: «Wie der Gärtner, so der Garten.» Dadurch werden die Mitarbeiter:innen befähigt, als Co-Leader:innen zu agieren, und die Schwarmintelligenz kommt zum Tragen.

Der Reminder im Alltag

Es gibt kein Erfolgsrezept, keine Handlungsanleitung. Niemand weiss im Voraus welche Methoden für sein Team die richtigen sind, wer welche Form des Empowerments braucht. Doch genau das müssen Leader:innen herausfinden und das braucht viel Gespür, Einsatz und Zeit. Empowering Leadership soll zur Gewohnheit werden.

Als Quintessenz dieser Auseinandersetzung möchten wir Führungspersonen dazu ermutigen, Empowering Leadership als wichtigen Bestandteil ihrer Führungsaufgabe zu erachten, ihren Handlungsspielraum zu erkennen, diesen ernst zu nehmen und auch in hektischen Zeiten – wo alles andere wichtiger scheint – daran festzuhalten.

Damit sich Leader:innen täglich daran erinnern, ihren Teamgarten zu pflegen, haben wir einen Sticker kreiert: «Make It Bloom». Dieser soll – nicht zuletzt uns – daran erinnern, den Rosen, Tulpen und Sonnenblumen ein optimales Umfeld zu bieten, und den kleineren, sich noch im Wachstum befindenden Pflanzen jenen Raum zu schaffen, den sie benötigen, um in voller Pracht aufblühen zu können.

Abb. 3: Sticker «Make It Bloom»

Der Sticker erinnert daran, Empowerment als Führungsaufgabe ernst zu nehmen und Teams die nötige Priorität einräumen.

Eine Erinnerung allein reicht nicht aus, neue Gewohnheiten zu schaffen. Daher wünschen wir uns als angehende «empowering leaders» ein Hilfsmittel, welches uns in diesem Prozess begleitet und unterstützt. Wir haben dafür einen Leitfaden skizziert, der Leader:innen über einen Zeitraum von 60 Tagen dabei unterstützt, die Anwendung ermächtigender Methoden in eine Gewohnheit umzuwandeln und im Arbeitsalltag zu leben. Unser Teamprozess wird also eine Fortsetzung nehmen, indem wir weiter am Thema Empowering Leadership feilen und gemeinsam einen Leitfaden ausarbeiten.

Daniel schlägt in Cléos hochgehaltene Hand ein High five. Die beiden treffen sich nun seit einigen Tagen wieder nach der Arbeit, tauschen sich über ihre Erfahrungen aus und feiern, dass sie ihre Hürden genommen haben. Daniels Vorgesetzter und Cléos Team haben die beiden mit ihrer Präsenz sehr unterstützt. Es lohnt sich also, dem Garten die notwendige Aufmerksamkeit zu geben.

Lassen wir die Blumen blühen.