Leadership Essays 2021

Emotional Leading

Die psychologischen Grundbedürfnisse als Treiber der Transformation

Zoé Blanchard, Alan Ganguillet, Ulrich Gröber, Monika Gut, Mario Meile und Taylla Scapim

Eine Transition ist ein Prozess. Ist eine ausgereifte Projektplanung mit einem Schuss Kommunikation dabei entscheidend? Nein. Nach Auswertung von rund 24 Interviews mit Change-Involvierten kommen wir zu dem Schluss, dass die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse der Schlüssel zum Erfolg ist. Emotional Leadership is king! Aus dieser Erkenntnis und weiteren Findings aus Interviews und Literatur haben wir, inspiriert von agilen Methoden, zudem einen Guiding Compass for Change Leaders entwickelt.

Scheitern Transitionen, weil wir die Menschen vergessen?

Mehr denn je durchlaufen unsere Gesellschaft und damit auch die Arbeitswelt schnellen und tiefgreifenden Wandel. Unterschiedliche Aspekte wirken dabei beschleunigend: fortschreitende Digitalisierung, allgemeine Optimierungsansprüche, Sinnsuche und zuletzt auch die Pandemie. Wir erkennen: Veränderung ist die einzige Konstante. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Herausforderung, Transitionsprozesse erfolgreich zu gestalten, mit zunehmender Häufigkeit und Dynamik nicht kleiner geworden ist. Klar ist: Menschen sind hierbei zentral. Gelingt es nicht, sie für einen Transitionsprozess zu gewinnen, kann er nicht erfolgreich sein. Ausgehend von den eigenen Erfahrungen, kommen wir zu dem Schluss, dass Transitionen häufig scheitern, weil dem Menschen in einem solchen Prozess zu wenig Aufmerksamkeit zukommt.

Das bietet Grund genug, in diesem Essay jene Aspekte zu beleuchten, die den in einen Transitionsprozess involvierten Menschen in den Vordergrund stellen. Zumal wir feststellen, dass die Art der Transition, organisatorischen Rahmenbedingungen, verschiedene Rollen sowie die Branche wenig bis keinen Einfluss haben auf die Gefühle und Bedürfnisse der Beteiligten und Betroffenen. Sie spielen hier deshalb nur eine Nebenrolle. Uns interessiert, wie Menschen die Transitionsprozesse erleben. Was motiviert sie? Wann kommen negative Gefühle auf? Welche Schritte sind entscheidend? Wer oder was wirkt in entscheidenden Momenten unterstützend?

Herausforderung Mensch

Eine erfolgreiche Transition gelingt nur, wenn die daran beteiligten und davon betroffenen Personen den Weg mitgehen. Und genau darin liegt die Schwierigkeit: In einem Transitionsprozess, als Folge eines Changes, stellen wir häufig fest, dass eine der grössten Herausforderungen darin besteht, die betroffenen Mitarbeitenden zu aktiven Unterstützer:innen des anvisierten Zieles zu gewinnen. Der Transitionsprozess, betrachtet als eine oftmals länger andauernde Phase zwischen einem stabilen (Organisations-)Zustand und einem neuen stabilen Zustand, ist für alle Beteiligten in vielerlei Hinsicht anspruchsvoll. Umstände, Haltungen, Strukturen und Prozesse sind entscheidend für einen aktiv und ganzheitlich gelebten Transformationsprozess. Die vorliegende Arbeit fokussiert somit auf die Frage: Wie können wir Menschen in Organisationen unterstützen, den hinderlichen Faktoren in Transformationen zu begegnen, und wie können wir sie befähigen, Lösungen zu finden, die den Prozess positiv beeinflussen?

Erfolgsfaktor: Psychologische Grundbedürfnisse

Unterscheiden sich die Erfolgsfaktoren von Organisation zu Organisation? Gibt es Gemeinsamkeiten? In welcher Phase kann wie unterstützt werden? Um diesen Fragen nachzugehen, haben wie in unserem jeweiligen Arbeitsumfeld halbstrukturierte Interviews geführt; in einer Kreativagentur mit rund 60 Mitarbeitenden, in zwei öffentlichen Verwaltungen mit 1000 resp. rund 2000 Mitarbeitenden, in einem Unternehmen aus der Finanz- und Versicherungsbranche mit 2000 Mitarbeitenden, bei einem Finanzdienstleister mit 240 Mitarbeitenden sowie in einem Familienunternehmen aus dem Retailbereich mit 180 Mitarbeitenden. Ebenso vielseitig wie die Organisationen selbst sind deren Change-Vorhaben: Eine Organisation versucht der Digitalisierung durch Agilisierung Schub zu verleihen, eine andere Organisation strebt einen Kulturwandel und dabei insbesondere die Etablierung einer Innovationskultur an. Ein Unternehmen versucht, quasi gegen den Trend, den bestehenden Shared-Leadership-Ansatz in Richtung einer sinnvollen Hierarchie fortzuentwickeln, während ein anderes Unternehmen neben organisatorischen Veränderungen insbesondere eine Effizienz- und Produktivitätssteigerung anstrebt. Eine Organisation versucht, die Rahmenbedingungen für die digitale Transformation durch den Aufbau einer neuen Zusammenarbeits- und Kooperationskultur zu gestalten, während in einer anderen Organisation eine Transformation Bottom-up versucht wird. Befragt haben wir dabei verschiedene Personen, die unterschiedlich betroffen und involviert im und vom jeweiligen Transitionsprozess sind. Wir haben uns mit Change Leaders (oder Initator:innen), mit positiv und negativ vom Change betroffenen Mitarbeitenden und mit Change-Begleiter:innen (Coaches) unterhalten. Die Ergebnisse der Interviews haben wir auf (Change-)Customer Journeys übertragen, um anschliessend unterschiedliche Bündelungen der wesentlichen Erkenntnisse vornehmen zu können.

Schnell haben wir dabei gemerkt: Ein wesentlicher Treiber für den Erfolg von Transitionsprozessen sind die positiven Emotionen der im Change Involvierten, also Freude und Stolz als Faktoren für ein Gelingen der Transition. Dem gegenüber behindern negative Emotionen wie Trauer oder Angst Transformationsprozesse.

Was aber brauchen Mitarbeitende, damit sie einer Transformation möglichst positiv gegenüberstehen können? Auf Antworten stiessen wir in den Theorien zu psychologischer Sicherheit und psychologischen Grundbedürfnissen. Der Psychologe Klaus Grawe spricht in seinem Standardwerk «Neuropsychotherapie» von den vier psychologischen Grundbedürfnissen. Andere Theorien, beispielsweise von Sozialwissenschaftler Denis Mourlane oder von den Psychologen Richard Ryan und Edward Deci unterscheiden sich in Anzahl, Benennung und Gewichtung, im Grundsatz jedoch gehen alle von den gleichen Bedürfnissen aus. Diese hängen voneinander ab und sind zentral für das Verständnis von emotionaler Führung, auf deren Grundsätze sich die Autor:innen stützen.

Das vorliegende Essay beleuchtet die folgenden vier psychologischen Grundbedürfnisse:

  1. Das Bedürfnis nach Bindung und Zugehörigkeit
  2. Das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz
  3. Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
  4. Das Bedürfnis nach Lustgewinn und Sinnhaftigkeit

Sind diese vier psychologischen Grundbedürfnisse befriedigt, geht es dem Menschen gut und er erlebt positive Gefühle. Dies wiederum wirkt sich positiv auf die Arbeit aus, indem Produktivität wie auch Kreativität angeregt werden. Die Befriedigung dieser psychologischen Grundbedürfnisse kann gerade in einer Transformation, die Veränderung bedeutet, erschwert werden. Deshalb ist es in Transformationsprozessen zentral, dass Mitarbeitende die Möglichkeit bekommen, möglichst viele ihrer psychologischen Bedürfnisse befriedigen zu können.

Aus den in der Arbeit gewonnen Einsichten, insbesondere jene Auswertungen anhand der Journeys, haben wir einen kompakten Guiding Compass entwickelt, der über einfache Handlungsanweisungen hinausgeht. Der praxisorientierte Guiding Compass verbindet unsere grundlegenden Erkenntnisse in Transitionen mit den unterschiedlichen Phasen – und schafft so eine hilfreiche Orientierung für Change Leaders.

Bindung und Zugehörigkeit

Menschen sind soziale Wesen. Das Bedürfnis nach Bindung liegt in unserer Natur und wird von Grawe als ein zentrales psychologisches Grundbedürfnis genannt. Kontakte mit Bezugspersonen ermöglichen es uns, schöne und schwere Momente zu teilen, Schutz und Trost zu finden wie auch zu spenden. Sichere Bindung schafft Nähe und Zugehörigkeit, man fühlt sich angenommen und sicher. Das Bedürfnis nach sicherer Bindung als zentraler Aspekt in einer Phase der Transition bestätigte sich in zahlreiche Aussagen im Rahmen unserer Interviews. Gemeinsam sind allen hier betrachteten Transitionsprozessen die Momente der Unsicherheit – seitens der betroffenen Personen ebenso wie seitens der Initiator:innen. Die Ungewissheit darüber, was die Transitionsphase für die eigene Rolle und Arbeit bedeutet und wie die Erwartungen aussehen, wird auffallend häufig in den Interviews benannt. In den Gesprächen zeigte sich auch, wie unterschiedlich die Reaktionen auf diese Unsicherheit ausfallen können: «Ungeduld», «Frustration», «passives Abwarten» oder auch ein «Gefühl der Ausgrenzung» erwähnen die Interviewten dazu. «Die beteiligten Personen haben das Bedürfnis, einen konkreten Ansprechpartner zu haben», nennt ein einen Transitionsprozess begleitender Coach als Schlüsselelement. Oder wie es der Initiator einer Transition ausdrückt: «Eine Führungskraft steht für die Teammitglieder ein, übernimmt Verantwortung und kann in Momenten der Unsicherheit ein Gefühl der Sicherheit vermitteln.» «Betroffene zu Beteiligten machen», «Teamarbeit zur Klärung zukünftiger Arbeiten und Prozesse» oder auch «Definieren der künftigen Zusammenarbeit» hören wir von den Befragten als unterstützende Möglichkeiten, um eine Bindung zu stärken. Auch das Management-Beraterduo Bridges/Bridges bestätigt, dass Menschen sich in einer Transitionsphase verloren fühlen können, und betont die Wichtigkeit, «ein Gefühl der Identifikation innerhalb der Gruppe und ein Gefühl der Verbundenheit» zu erneuern. Mourlane nennt weitere konkrete Verhaltensempfehlungen, die dem Bedürfnis nach sicherer Bindung Rechnung tragen: Regelmässige Einzelgespräche führen und dabei auf Lösungen fokussieren, die zu den Stärken des Gegenübers passen; zu einem offenen Dialog ermutigen und sich Sorgen und Bedenken anhören; Mitarbeitende als Menschen kennenlernen und sie willkommen heissen.

Orientierung und Kontrolle

Grawe beschreibt Kontrolle als einen allgegenwärtigen, essentiellen Aspekt des mentalen Funktionierens. Es ist das Bedürfnis, eine Handlung ausführen zu können, die für das Erreichen persönlicher Ziele wichtig ist. Individuen bemühen sich dabei nicht nur, eine aktuelle Situation zu kontrollieren, sondern versuchen dies auch für künftige Tätigkeiten. Dies legt nahe, dass es höchst aversiv sein kann, nicht zu wissen, was in der eigenen Umgebung vor sich geht. Daher scheint die Orientierung, also ein genauer Blick auf die Situation, der Schlüssel zu sein, wenn es darum geht, Menschen eine sichere Umgebung in einer Transition zu bieten. «Ich muss ja nicht alles wissen, aber ich muss einfach wissen, woran ich bin», äussert sich eine befragte Person dazu. Zunächst scheint es wichtig, dass die Menschen den Zweck sowie die gemeinsame Vision verstehen, um daraufhin für sich zu validieren, wie die Übereinstimmung mit den persönlichen Zielen funktionieren kann. Die Wichtigkeit der Gemeinschaft wird in den Interviews oft betont: «Menschen wollen sich verbinden, sich als Teil eines Stammes fühlen, der das gleiche Ziel verfolgt.» Ein Coach äussert sich zu Veränderungen im Allgemeinen mit folgender Aussage: «Der Mensch ist nicht grundsätzlich gegen Veränderungen, aber dagegen, von aussen verändert zu werden.» Menschen scheinen keine Angst vor dem Transitionsprozess an sich haben, sondern eher davor, sich in diesem Prozess verloren zu fühlen oder unbekannten Konsequenzen gegenüberzustehen, die ihre Arbeit oder generell auch ihr Leben betreffen. Uns fallen dazu häufig geäusserte Bedenken auf: «Was wird aus meiner Rolle?», «Was bedeutet es für meinen Alltag?» oder auch «Was wird sich verändern?». Ein Befragter schilderte eindrücklich, wie die ihm fehlende Orientierung zu einer ausgeprägten Belastung (Schmerz, Angst) und schliesslich zu einem Gefühl der Hilflosigkeit führte. Nach der Theorie von Grawe führt ein solcher Zustand zu einem verstärkten Bedürfnis nach Kontrolle. Eine kompetente Person könnte hier den belastenden Zustand beenden, indem sie Orientierung schafft und aufzeigt: «Was haben wir bereits erreicht, wo gehen wir hin und was ist deine Rolle dabei?». In unseren Interviews zeichnete sich ab, dass eine positive Orientierung bezüglich des Was (Ziel) und des Wann (Zeitpunkt) wichtiger ist, als das Wie aus dem Zielbild: «Wenn man weiss, dass die anderen den gleichen Zweck oder die gleichen Ziele haben, vertraut man dem Team und muss seine Entscheidungen nicht in Frage stellen, weil man weiss, dass man den gleichen Zweck hat.»

Zwei Aspekte wurden häufig angesprochen und bezogen sich auf die Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen und ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit zu vermitteln: Zeit und Kommunikation. Die Notwendigkeit, sich Zeit zu nehmen, um die Gründe, Stufen und Erwartungen zu kommunizieren, erscheint für einige Initiator:innen im Transitionsprozess als Haupterkenntnis. In ihren jeweiligen Prozessen haben sie erkannt, dass Menschen für ihren persönlichen Entwicklungsweg unterschiedlich viel Zeit benötigen. «Geduld» wird in den Interviews entsprechend häufig als Schlüsselelement für den Erfolg genannt. Die Art und Weise der Kommunikation (Klarheit, Häufigkeit, Transparenz, Ehrlichkeit) war ebenfalls ein wiederkehrendes Thema, das von unseren Befragten als entscheidend für die Schaffung von Sicherheit und Vertrauen genannt wurde. «Auch wenn Sie denken, Sie haben nichts zu kommunizieren, sollten Sie regelmässig kommunizieren», empfiehlt eine Befragte. «Authentisch sein», sagte eine andere Person, «sei entscheidend», und da gehörten «Ehrlichkeit und Transparenz zu den wichtigsten Eigenschaften». In dem Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation «New Work Needs Inner Work» erfahren wir, dass nur das Team und seine Mitglieder in der Lage sind, Definitionen zu liefern, die für sie stimmen.

Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz

Eines der wichtigsten zu erfüllenden Grundbedürfnisse für den Menschen ist der Selbstwertschutz oder Selbstwerterhöhung. Es ist das Bedürfnis, sich selber als kompetent und wertvoll und von anderen geschätzt zu fühlen. Um ein gutes Selbstwertgefühl aufzubauen, braucht man ein wertschätzendes Umfeld, das Vertrauen und Unterstützung gebe, so der Organisationspsychologe Adam Grant.

Eine klar definierte Strategie und eine transparent kommunizierte Vision spielen auch hier eine wichtige Rolle. In den Interviews mit eher negativ von einer Transformation betroffenen Menschen fallen entsprechende Aussagen, die auf ein Gefühl fehlender Anerkennung und Unsicherheit mit dem eigenen Platz in der Organisation schliessen lassen. Eine Person äussert: «Ich weiss nicht, ob man mich noch möchte, was mein Job sein wird und welchen Mehrwert ich bringen kann.» Eine andere drückt es so aus: «Ich bin noch nicht ein Teil von der neuen Bewegung.» Aus den Interviews erschliessen sich weitere Faktoren, die dem psychologischen Grundbedürfnisse nach Selbstwertschutz und -erhöhung gerecht werden und entscheidend sind für eine erfolgreiche Transformation. Es geht dabei einerseits um «Zuhören», «Empathie zeigen», «aktiv auf geäusserte Zweifel eingehen» und vor allem um das «Einbeziehen aller, die es wünschen».

Aus den Antworten der Interviews ziehen wir zudem die Erkenntnis, wie zentral es ist, zu wissen, dass sie sind ein wichtiger und geschätzter Teil des Ganzen sind. Ein Coach sagt dazu: «Besonders in einer Kultur, die Performanz und Leistungsbereitschaft in den Vordergrund stellt, muss man beachten, dass die Personen, die gern liefern, die performativen und motivierten Mitarbeiter, nicht zur Seite ‹rausgespickt› werden und nicht durchdrehen.» Ein anderer Coach äussert sich folgendermassen: «Die Kunst bei Veränderungsprozessen besteht darin, den Leuten zu zeigen, dass sie mitgestalten können.» Es geht darum, Raum für Ko-Kreation zu schaffen und die Menschen in den Prozess einzubeziehen: Das beginnt beim Erkennen der Notwendigkeit von Veränderungen bis hin zur gemeinsamen Gestaltung der Zukunft ihrer Organisation. Durch die Mitwirkung erhöhen sich sowohl das Selbstwertgefühl wie auch die Motivation. «Man muss den Leuten auch Vertrauen schenken, ihnen Raum lassen; nur dann sind sie in der Lage, ihr Potential voll auszuschöpfen», sagt einer der Initiatoren eines Transformationsprozesses. Aus den Antworten schliessen wir, dass Partizipation eine positivere Umgebung fördert und damit eine Umgebung, in der Respekt und ein gesundes Selbstwertgefühl kultiviert werden können. Zudem zeigt sich ein weiterer beachtenswerter Reziprozitätseffekt: Fühlen sich Menschen beachtet und geschätzt, sind sie viel eher bereit, sich aktiv in der Transformation einzubringen und für deren Erfolg zu sorgen. Uns zeigt sich, dass eine Lernkultur in Organisationen sich dann als zentral für die Erfüllung des Bedürfnisses nach Selbstwertschutz und -erhöhung erweisen kann, wenn sie ein Klima des Vertrauens, des Respekts und der Offenheit fördert, welches wiederum durch qualitative Kommunikation unterstützt wird.

Lustgewinn und Sinnhaftigkeit

«Mich macht es einfach glücklich, zu sehen, was wir bis jetzt schon alles erreicht haben», sagt eine interviewte Person. Der Lustgewinn oder die Unlustvermeidung nach Grawe ist ein wichtiges Bedürfnis bezüglich der Motivation. Der Mensch generiert positive Gefühle, wenn er Positives wiederholt und Negatives vermeidet. Aussagen aus den Interviews zeigen jedoch auch, dass nicht immer alle an demselben Punkt stehen: «Ich würde mir wünschen, dass alle die Chance packen und mitarbeiten», erzählt eine Person, die für sich bereits eine grosse Motivation darin gefunden hat, in der Transition aktiv mitzuarbeiten. Hinter einem Wunsch nach Veränderung steckt aus Sicht von Joana Breidenbach und Bettina Rollow, die Autorinnen von «New Work Needs Inner Work», «entweder das Bedürfnis, einer inneren Spannung zu entkommen, oder die Inspiration, etwas Neues ausprobieren zu wollen».

Doch wie kann es gelingen, möglichst viele Mitarbeitende motiviert an Bord zu wissen? Als möglicher Schlüssel zum Erfolg fallen uns zwei Aussagen auf: Es sei wichtig, «herauszufinden, wer wo welche Motivation hat», sowie «zu verstehen, wo die Prioritäten der Menschen liegen». Auch der Organisationspsychologe Edgar H. Schein und der Managementberater Peter Schein äussern sich dahingehend: Humble Leaders [bescheidene Leader] betrachten den Menschen ganzheitlich, verstehen die gegenseitige Geschäftsbeziehung, sind sich gleichzeitig der Individualität ihrer Gegenüber bewusst und wie sehr die Organisation davon abhängt. Eine Aussage dazu aus den Interviews: «Für mich sollte eine Führungsperson selbstlos sein und das Wohlbefinden der Mitarbeitenden in den Vordergrund stellen». Daraus erschliesst sich die Interdependenz zwischen dem Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Lustgewinn: Fühlen sich Menschen als Menschen betrachtet, bedeutet dies Wertschätzung, die sich wiederum positiv auf die Motivation auswirkt. Auch Frédéric Laloux, Wirtschaftsphilosoph, spricht ausführlich über die Notwendigkeit, dass sich Menschen ganzheitlich einbringen können. Für ihn bedeutet «als ganzer Mensch» aufzutreten, die strenge Trennung zwischen beruflichem und privatem Auftreten aufzuheben und bei der Arbeit mit allen Schattierungen erscheinen zu können. Je psychologisch sicherer ein Umfeld für jemanden ist, desto einfacher kann dies gelingen. Abhängig von Organisationsstruktur und -kultur verlangt ein menschenzentrierter Ansatz «in der Führung sehr viel innere, persönliche Arbeit» bis hin zu einem «Wandel in der Kultur», wie aus den Interviews klar wird.

Um Motivation zu erkennen, scheint der Fokus auf Energie ein hilfreicher Indikator: «Wichtig ist, dass man nicht alleine bleibt, sondern diejenigen einbindet, bei denen Energie spürbar ist», erzählt der Initiator eines Transitionsprozesses. Ein Coach bemerkt dazu eine wichtige Voraussetzung: «Menschen wollen ernst genommen und respektiert werden. Sie wollen etwas tun, das Sinn macht, und sich so weiterentwickeln».

Die Balance ist entscheidend

In den Interviews zeigt sich klar: Der Mensch möchte seine psychologischen Grundbedürfnisse befriedigen können. Die Herausforderung für Führungskräfte besteht zudem darin, eine Umgebung zu schaffen, in der sich alle sicher fühlen, sich entfalten, sich einbringen und sich als Teil eines grösseren Ganzen fühlen können. Dabei scheint es unwichtig, welche Rolle oder Position eine Person im Change hat, in welcher Phase eine Transition steht, welcher Branche das Unternehmen angehört und wie gross es ist. Menschen teilen die gleichen Ängste bei Veränderungen, verfolgen ähnliche Ziele im Beruf und haben die gleichen Erwartungen an ihre Führungskräfte. Wir fanden kaum eine Aussage, die nicht auf eines oder mehrere der psychologischen Grundbedürfnisse abzielt. Letztlich dienen alle menschlichen Aktivitäten dem Ziel, die psychologischen Grundbedürfnisse zu befriedigen oder deren Verletzung zu vermeiden. Menschen streben danach, möglichst viele positive und möglichst wenig negative Emotionen zu erleben. Die Balance der Bedürfnisse und der angemessene Umgang mit den eigenen Bedürfnissen sind dabei entscheidend. Mourlane greift zur Veranschaulichung auf die Nahrungsaufnahme zurück: Sie ist ein überlebenswichtiges Bedürfnis, permanent essen sollten wir deshalb trotzdem nicht. Genausowenig sollten wir in einer Transition versuchen, alles unter Kontrolle zu halten, niemandem mehr zu trauen oder das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung zu übertreiben und in purem Egoismus zu verfallen. Die richtige Balance gilt es einerseits in Bezug auf die eigenen Grundbedürfnisse zu finden, andererseits aber auch beim Gegenüber zu fördern.

Emotional Leading zielt genau auf diese Fähigkeiten ab. Eine Führungskraft fokussiert dabei darauf, die eigenen sowie die Emotionen anderer Menschen bewusst wahrzunehmen, Bedürfnisse zu erkennen und kontextspezifisch darauf einzugehen. Dafür muss sie achtsam sein, zuhören können, beobachten und mitfühlen. Wenn eine Führungskraft das grundlegende Prinzip der emotionalen Führung verinnerlicht hat, kann es gelingen, in einem Unternehmen ein Klima zu schaffen, das den Menschen Raum bietet, ihre Bedürfnisse nach Bindung, nach Selbstwert, nach Orientierung und Kontrolle, nach Lustgewinn und nach Sinnhaftigkeit zu befriedigen. Und dies stellt eine sehr gute Basis dar, um Zufriedenheit und Produktivität zu steigern und Innovationen zu schaffen.

Guiding Compass for Change Leaders

Eine Transition nach den Leitlinien des Emotional Leading zu begleiten und zu führen, erscheint uns in vielerlei Hinsicht gewinnbringend. Dabei gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie die Menschen in diesem Prozess unterstützt, wertgeschätzt und ermächtigt werden können. Das nachfolgende Kapitel nennt dazu einige konkrete Handlungsvorschläge.

In unserer Arbeit hat sich auch klar gezeigt: Transformationsprozesse weisen selten fixe Anfangs- und Endpunkte auf. Vielmehr erscheinen sie als sich ständig entwickelnde und lebendige Mechanismen, die auf verschiedenen, miteinander verwobenen Ebenen stattfinden. Sobald ein vorläufiger Endzustand erreicht wurde, ist es entscheidend, diesen Zustand zu optimieren und an die neue Umgebung anzupassen, damit die gewünschte Wirkung eintritt und ein nachhaltiger Erfolg erreicht werden kann. Ein Mechanismus, ganz gemäss seiner Beschaffenheit: Ein Kollektiv aus Menschen, die atmen, denken und sich verändern.

Um dieser für uns zentralen Erkenntnis angemessen zu begegnen, gehen wir mit dem Guiding Compass for Change Leaders einen Schritt weiter: Inspiriert von Design Thinking und weiteren agilen Methoden, stellen wir darin den Transformationsprozess in vier sich wiederholenden Phasen dar und veranschaulichen damit die Idee der Iteration eines Kreislaufes. Die Visualisierung ermöglicht eine ehrliche, achtsame, dem Menschen wohlwollende Sichtweise und Reflexion, unabhängig von Kontext und Art der Transformation.

Das Tool bietet Inspiration und Orientierungshilfe für alle, die sich aktiv an einer Transformation beteiligen. Der Guiding Compass zeigt auf, wie in der Turbulenz einer Transition ein fruchtbares Umfeld geschaffen werden kann, um Menschen aktiv auf die Reise mitzunehmen. Mit wertvollen, praxisorientierten Tipps und Tricks erfahren Change Leaders, wie sie das Wheel of Change entwickeln können. Und um die Wiederholung von Fehlern zu vermeiden, warnt der Guiding Compass auch vor möglichen Stolpersteinen, die unsere Befragten identifiziert haben.

Emotionale Führung als Königsdisziplin

Wenn wir an Transitionsprozesse denken, erinnern wir uns aus früheren Lehrveranstaltungen sowie aus unserer eigenen Praxiserfahrung als erstes an die verschiedenen Phasen, um welche die Planung einer Transition in der Regel vorgenommen wird. Die gängige Literatur fokussiert dabei in erster Linie auf die organisatorischen Schritte, vielleicht noch auf die begleitende Kommunikation.

Zu Beginn unserer Arbeit haben wir uns selber an diesen Phasen orientiert und uns gefragt, wo diese optimiert werden könnten, um die vom Prozess betroffenen Menschen noch besser abholen zu können. Im Laufe unserer Recherche und durch die Aussagen der interviewten Personen kristallisierte sich für uns eine zentrale Erkenntnis heraus: Eine erfolgreiche Transition wird nicht um die Menschen herum geplant, sondern stellt sie ins Zentrum. Es geht also um eine veränderte Denkweise, welche die Menschen an erster Stelle positioniert. Es reicht nicht, die Phase sorgfältig zu planen und regelmässig zu informieren. Elementar ist, die Menschen ganzheitlich zu betrachten und die Grundlage für ein Umfeld psychologischer Sicherheit zu schaffen, das den psychologischen Grundbedürfnissen der Menschen möglichst gerecht wird. Breidenbach/Rollow halten fest, dass «jede massgebliche Veränderung in der Aussenwelt eine entsprechende Veränderung im Innenleben der einzelnen Menschen braucht.» Diese Aussage bestätigen die Antworten der Befragten. Es zeigt sich, dass sie in einer Transition oftmals zwei parallele Prozesse durchlaufen: einen inneren und einen äusseren.

Da eine äussere Transformation eine abgeschlossene innere bedingt, konzentrieren wir uns in dieser Arbeit auf die psychologischen Grundbedürfnisse, deren Befriedigung am besten in einem Umfeld psychologischer Sicherheit gelingt. Die Sammlung der Aussagen aus dem Interviews im Abgleich mit der Literatur ergibt konkrete auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse einzahlenden Handlungsvorschläge, deren Beachtung entscheidend zum Erfolg einer Transition beitragen kann.

  1. Gib den Mitarbeitenden Orientierung indem du ihnen sagst, was von ihnen erwartet wird, regelmässig mit ihnen kommunizierst und ihnen auf Basis ihrer Stärken und Schwächen bei der Karriereplanung hilfst.
  2. Gib den Mitarbeitenden die Möglichkeit, ein Gefühl der Kontrolle zu entwickeln. Dies, indem du sie selbst Entscheidungen treffen und ihren Arbeitsablauf selbständig gestalten lässt.
  3. Fördere den Selbstwert der Mitarbeitenden, indem du gute Leistung anerkennst und sie dafür lobst.
  4. Fördere die Lust der Mitarbeitenden am Arbeiten, indem du ihnen Aufgaben überträgst, die zu ihren Stärken passen und die sie selbständig erledigen können.
  5. Vermittle den Mitarbeitenden ein Gefühl von Bindung, indem du für sie da bist, gerade wenn etwas nicht optimal läuft.
  6. Fördere die Kohärenz, indem du authentisch bist, selber deinen Forderungen entsprechend handelst, widersprüchliche Informationen aufklärst und darauf achtest, den Sinn und Zweck der Arbeit bzw. des Projektes zu vermitteln.

Ein effektiver Hebel

Stetiger Wandel, Transformation und Change. Fortschreitende digitale Transformation. Daten, mehr Daten und noch mehr Daten, ausgewertet und analysiert durch Algorithmen. Was bedeutet das für die Führung, insbesondere für die Führung in der Transition? Die menschliche Seite wird wichtiger. Matchentscheidend ist nicht eine besonders elaborierte Change- und Kommunikationsplanung. Entscheidend sind die emotionalen Aspekte.

Wie kann es Führungspersonen gelingen, die emotionalen Grundbedürfnisse ihrer Mitarbeitenden nicht nur zu erkennen und zu verstehen, sondern auch zu befriedigen? Im Rahmen der Arbeit an unserem Essay haben uns die Antworten auf diese Frage stark beschäftigt.

Ein grosses Learning besteht für uns in der Erkenntnis, dass komplexe Change-Methoden oder eine detaillierte Prozessplanung weit weniger entscheidend sind als der emotionale Aspekt in der Führung. Oder anders gesagt: Gelingt es einer Führungsperson, den Mitarbeitenden zuzuhören, ihnen Vertrauen zu schenken und durch das eigene Verhalten positiv auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse der anderen zu wirken, dann hat sie bereits die wichtigsten Punkte erfüllt.

Bereits zu Beginn der Arbeit sind wir davon ausgegangen, dass der Schlüsselfaktor für eine erfolgreiche Transition darin besteht, die betroffenen Menschen mitzunehmen. Diese Annahme hat sich bestätigt. Mehr noch: Wir haben erkannt, dass ein Fokus auf die psychologischen Grundbedürfnisse ein effektiver Hebel ist, um auf die einzelnen Mitarbeitenden einzugehen. Das gibt Sicherheit in aktuellen und künftigen Transitionsvorhaben.
Der zum Essay entwickelte Prototyp eines Guiding Compass for Change Leaders bewährt sich hoffentlich auch in der Praxis und dient uns und anderen, Menschen in Transitionen zu unterstützen und damit zum Erfolg beizutragen.


Ressourcen

Grawe, Klaus (2004): Neuropsychotherapie. Hogrefe, Göttingen.

Mourlane Denis (2015): Emotional Leading. Die Kunst, sich und andere richtig zu führen. dtv Verlagsgesellschaft, München.

Bridges William, Bridges, Susan (2016): Managing Transitions – Making the Most of Change. Da Capo Press, Boston.

Breidenbach Joana, Rollow, Bettina (2019): New Work Needs Inner Work. Vahlen, München.

Schein, Ed H., Schein, Peter (2018): Humble Leadership. The Power of Relationships, Openness and Trust. Berret-Koehler Publishers, Oakland.

Laloux, Frédéric (2015): Reinventing Organizations. Vahlen, München.

Klaus Grawe Institut (2016): Unsere Grundbedürfnisse. URL: https://www.klaus-grawe-institut.ch/blog/1205/ [23.5.2021].

Grant, Adam (2021): Think Again: The Power of Knowing What You Don’t Know. Viking, New York.