Leadership Essays 2018

Leadership braucht Typen

Wulf-Peter Kemper, wpk strategy

Im Jahr 2015 habe ich das Buch «TYPEN – Die Typologie der Agenturführung» geschrieben. Das Buch ist eine Abkürzung. In wenigen Stunden gelangt der Leser zu der Erkenntnis, was Agenturen erfolgreich macht. Ich selbst habe dafür – zumindest in dieser Klarheit – fünfundzwanzig Jahre gebraucht.

Die Erfahrungen der letzten Jahre waren die finale Meile auf dem Weg zur absoluten Gewissheit: Ob Klassikschmiede, Digitalboutique oder Techy-Bude – es sind immer die gleichen Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften der führenden Personen, die den Agenturerfolg bestimmen. Die Typen in der Führung machen den Unterschied.

Aus dieser Überzeugung ist die «Typologie der Agenturführung» entstanden. Die Typologie offenbart die Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften, sprich die Kernstärken, von zehn unterschiedlichen Typen, die in der Führungsriege einer Agentur in Summe vorhanden sein sollten. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Führung der Agentur immer zehn Leute umfassen muss. Jede Führungspersönlichkeit kann einen oder mehrere Typen repräsentieren.

Das Buch ist weder eine wissenschaftliche Abhandlung, noch Hobbypsychologie. Es ist ein Erfahrungsbericht für alle, die sich damit beschäftigen, ob ihre Agentur(führung) in Zukunft eine Chance auf Erfolg hat. Zielgruppe sind Gründerinnen, Inhaber, Geschäftsführerinnen, Mitarbeitende, Bewerber und Auftraggebende von Agenturen im Bereich der Marketingkommunikation. Die Veröffentlichung ist nunmehr über zwei Jahre her. Und nach vielen intensiven Gesprächen mit Unternehmern, Managern und Nachwuchsführungskräften auf allen Hierarchieebenen stellt sich eine weitere Erkenntnis ein: Die Typologie lässt sich in nahezu jeder Branche anwenden.

Mit dem Rückenwind des Zuspruchs meiner Gesprächspartner finde ich mehr und mehr die Nähe zu Menschen, die sich mit ihren Führungsqualitäten selbstkritisch auseinandersetzen. Bei diesen Begegnungen stelle ich fest, dass die meisten Führungskräfte und Führungsanwärter daran scheitern, sich selbst zu führen. Erstens scheitern sie daran, sich selbst auf die Position zu führen, die ihren Persönlichkeitsmerkmalen und Charaktereigenschaften entspricht. Zweitens daran, sich in eine Führungskonstellation zu führen, in der genau ihre Merkmale und Eigenschaften fehlen. Und drittens daran, die Versprechen und Ziele einzuhalten, die sie sich selbst gegeben haben. Das heisst: Die Ursache eigener Führungsschwäche ist das Defizit an Self-Leadership-Skills. Die gute Botschaft ist, dass es sich dabei meist nur um ein Bewusstseinsdefizit handelt, wie es sich in folgender Aussage offenbart: «Mir war gar nicht bewusst, dass ich erst einmal mich führen können muss, um andere führen zu können.»

Gute Führung beginnt also mit der Frage: «Was für ein Typ bin eigentlich ich?» Die starke Führungskraft macht genau das: Sie ist ehrlich zu sich selbst, sie reflektiert und kann offen und offensiv mit ihren Stärken und Schwächen umgehen. Sich nicht zu ernst zu nehmen und über sich selbst lachen zu können, geht mit dieser Haltung einher. Die Auseinandersetzung mit sich selbst ist für eine zeitgemässe Führungspersönlichkeit keine Option, sondern ein Muss.

Es ist und war nie ein Zeichen von Schwäche, auf dem Lebens- und Karriereweg nach Unterstützung zu fragen. Das Leben ist ein Mannschaftssport. Und ein guter Coach ist die halbe Miete des Erfolges. Es gibt keine Regel, ob es ein zertifizierter Coach, eine Diplompsychologin, ein Mentor im Unternehmen oder eine langjährige enge Freundin sein muss, der/die die Unterstützung vollbringt. Entscheidend ist, dass sich der Gecoachte wohl, verstanden und geborgen fühlt. Idealerweise bringt der Coach viel Führungserfahrung mit und hat in möglichst vielen Führungskonstellationen sowohl erfolgreich als auch erfolglos gearbeitet. Zumindest sollte der Coach beruflich viel mit Führungskräften zu tun haben. Die erlebte Praxis ist auch in dieser Hinsicht der beste Ratgeber.

Die Selbsterkenntnisse führen die gecoachte Führungskraft an die Schmerzgrenze ihrer Eitelkeit. Die öffentlichen Eingeständnisse von Führungsschwächen tun höllisch weh. Das wirkungsvollste Schmerzmittel dagegen ist das Beweisen wahrer Grösse. Denn mit der Grösse, offensiv zu seinen Schwächen und Defiziten zu stehen, gedeihen der Respekt, die Wertschätzung und die Bewunderung der Kollegen. Spätestens mit dem positiven Feedback des Umfeldes setzt das wundervolle Gefühl ein, beruflich endlich angekommen zu sein. Ab jetzt geht es nur noch bergauf – mit der Leichtigkeit des Bergabfahrens.

Das Rennen zu sich selbst ist kein Sprint, sondern ein Marathon, bei dem man ab und zu auch mal stehen bleiben darf. Wichtig ist lediglich der unbedingte Wille, das Ziel zu erreichen. Im Zeitalter der Start-up-Millionäre und Zuckerbergs & Co entwickelt sich eine absurde Erwartungshaltung, in welcher Geschwindigkeit man heutzutage den Gipfel seiner Karriere erreicht haben muss. Zum Lernen haben wir keine Zeit, wir sind mit dem Exit beschäftigt. Diese gesellschaftliche und auch volkswirtschaftliche Fehlstellung müssen wir korrigieren. Denn das Lernen wollen wir ja nicht nur den Maschinen überlassen, oder?

Als kleine Bewusstseinsübung für das Einschätzen der eigenen persönlichkeits- und charakterbedingten Stärken und Schwächen folgt an dieser Stelle ein kurzer Einblick in die «Typologie der Agenturführung». Viel Spass beim Lesen und Reflektieren!

Typ Meister

Jede Agentur braucht ihren Meister. Die Frau oder den Mann, die/der für die Qualität des Agenturprodukts steht. Der Agenturmeister kann es wie kein Zweiter. Und wenn es darauf ankommt, geht er oder sie höchstpersönlich zu Werke. Warum ist der operativ aktive Meister für den nachhaltigen Agenturerfolg wichtiger denn je?

Erstens: Auftraggeber erwarten heutzutage, dass der Meister der Agentur mit am Tisch sitzt und operativ eingebunden ist. Sie haben weder die Zeit noch die Geduld, sich mit der zweiten Riege zu befassen. Auch auf Auftraggeberseite wird auf den Chefetagen wieder operativer, hemdsärmeliger und produktnäher gearbeitet. Und zwar deswegen, weil alle von Steve Jobs gelernt haben, dass das Produkt mehr denn je Chefsache ist. Der Apple-Gründer hat vor der Einführung des iPhones jeden einzelnen Klingelton persönlich ausgewählt. Diese Einstellung, diese Liebe und Leidenschaft für das Detail verlangen die Auftraggeber auch von ihren Agenturen.

Zweitens: Der grösste und stärkste Magnet für junge Talente ist der respektierte und anerkannte Meister. Menschen wollen lernen. Und sie wollen, dass da jemand ist, der ihnen zeigt, wie es geht. Der ihnen einen Weg weist, wie es noch besser werden kann. Der sie fordert und fördert. Besser zu werden, macht Spass und ist cool. Daran hat sich auch im digitalen Zeitalter und neuen Jahrtausend nichts geändert.

Drittens: Bedingt durch die Möglichkeiten der Digitalisierung gewinnt die Realisation immer mehr an Bedeutung. Die Realisation beansprucht immer mehr Zeit, mehr Budget und handwerkliche Expertise. Es kommt die Ära der realisationsstarken Kreativen.

Die Wahrheit ist, dass es mehr Kreative gibt, die grosse Ideen gebären, als solche, die diese Ideen herausragend realisieren können. Das gilt insbesondere für die technologiebasierte Kreation. Die Rollboy-Schubladen der Kreativen sind voll mit guten Digitalideen. Da verenden diese auch, weil die Agentur keinen Realisationsmeister hat. Hat die Agentur überhaupt einen Meister?

Da es in der Marketingkommunikation keinen Meisterbrief gibt oder irgendeine andere mehr oder minder objektive Qualitätsinstanz, ist diese Frage nur bedingt zu beantworten. Schliesslich kann die Agentur nur selbst einschätzen und bewerten, was ihre Meisterlichkeit ausmacht. «Wir, die Agentur, haben einen wahrhaftigen Meister, an den die Führung und alle Mitarbeiter glauben. Und er macht auch nur das, was er kann – gemäss der Positionierung unserer Agentur. Die Kunden sind bei uns, weil wir ein Meisterhandwerk beherrschen.» Wenn die Agenturführung das so selbstbewusst von sich behaupten kann, ist sie auf dem besten Wege.

Typ Denker

Erfolgreiche Kommunikation basiert auf klugen und richtigen Gedanken. Deshalb braucht die Agentur den Denker. Den Neu-Denker, den Anders-Denker, den Quer-Denker, den Mutig-Denker, den Kreativ-Denker, den Präzise-Denker. Die Tatsache, dass ein Stratege auf der Gehaltsliste steht, gibt noch lange keine Gewissheit, ob ein Denker an Bord ist. Denn ein Titel allein macht noch keinen Denker. Die Agentur sollte sehr viel Zeit investieren, ihre Denker zu finden, zu fördern und das präzise Denken zu kultivieren. Und das am besten in der gesamten Agentur. Kein Präsentkorb, keine Incentivereise und auch kein perfektes Kundendinner wirkt so kundenbindend wie der gute, überraschende Gedanke der Agentur.

Typ Kundenflüsterer

Als Agentur muss man heutzutage schon einiges auf dem Kasten haben, um Pitches zu gewinnen. Noch schwieriger ist es jedoch, den Kunden zu halten. Das ist die zentrale Aufgabe des Kundenflüsterers. Sein Ziel ist der Aufbau einer langjährigen Kundenbeziehung. Der Kundenflüsterer versteht, was der Kunde wirklich braucht und was er tatsächlich will. Die bewusste Unterscheidung ist wichtig. Denn das «Was braucht der Kunde?» und das «Was will der Kunde?» sind nicht zwangsläufig deckungsgleich. Das ist wie in der Boutique. Der Verkäufer empfiehlt: «Sie brauchen mal was Dunkles.» Der Kunde bestimmt: «Ich will aber was Helles.»

Genau in diesem Spannungsfeld bewegen sich Agentur und Kunde: Empfehlung versus Wunsch oder Befehl. Der Kundenflüsterer hat die Gabe, diese Ambivalenz zu managen. Sein Ziel ist dabei nicht der faule Kompromiss, sondern das Herstellen einer gemeinsamen Überzeugung in Bezug darauf, welches der jeweils richtige Weg ist. Dabei ist es unerheblich, ob sich die Agentur mit ihrer Empfehlung durchsetzt – oder der Kunde mit seinem Wunsch. Wichtig ist, dass Agentur und Kunde gemeinsam hinter der jeweiligen Entscheidung stehen. Der Kundenflüsterer ist ein Wir-Gefühl-Hersteller.

Typ Aufreisser

Die Treue von Agenturkunden nimmt deutlich ab. Das Fremdgehen boomt. Wie im wahren Leben wird es leider Normalität. Agenturen können sich nicht mehr auf ihren Lorbeeren ausruhen und brauchen eine dicke Neugeschäftspipeline. Diese muss Tag für Tag gefüllt werden – und zwar vom Aufreißer der Agentur. Aufreisser klingt despektierlich und primitiv. Die Bezeichnung bringt aber unverblümt und unmissverständlich auf den Punkt, was die Aufgabe ist – und was die Schlüsselfähigkeit der Person ist, die diese Aufgabe übernehmen soll.

New-Business-Abteilungen in Agenturen werden oft teuer und bürokratisch aufgebaut, ohne dass die Zuständigen sich einmal fragen, ob der für Neugeschäfte Verantwortliche von seinem Wesen her überhaupt ein Aufreisser ist. Viele sind es eben nicht. Sie verkriechen sich in ihren Neugeschäftsstrategie-Meetings und Datenbankauswertungen, weil sie eigentlich keine Lust, keinen Mut oder einfach nicht die Fähigkeiten haben, auf die Jagd zu gehen, sprich aufzureissen. Das Aufreissen liegt dem Aufreisser im Blut. Es ist seine oder ihre Leidenschaft. Er oder sie braucht die tägliche Jagd wie die Luft zum Atmen. Etats gewinnen ist sexy – Etats verwalten langweilig. So denkt der Aufreisser.

Typ Integrator

Gegenwärtig stellen sich moderne Agenturen darauf ein, funktional und mental offener für die Zusammenarbeit mit Spezialisten zu sein. Die zunehmende Komplexität der Marketingkommunikation, getrieben durch die Möglichkeiten der Digitalisierung, zwingt die Agenturen dazu, sich neuen Universen anzuschliessen, in denen völlig barrierefrei mit- und füreinander gearbeitet wird. Die Zeiten des «Wir können alles – und vor allem allein» sind vorbei.

In diesem Zeitalter braucht die Agenturführung den Integrator. Dieser Typ kann auf Menschen zugehen und sie für die Zusammenarbeit mit der Agentur begeistern. Das sind die Soft Skills. Ein wirklich guter Integrator beherrscht darüber hinaus die Hard Skills: Der Typ hat das Wissen und die Erfahrung, welche Gewerke herausragend, modern und innovativ sind und wie diese idealtypisch miteinander arbeiten. Mehr noch: Er oder sie versteht nicht nur den gesamten Prozess, sondern kann diesen auch führen. Der Integrator ist auch Networker. Das Networking ist jedoch nur eine Facette des Integrators. Selbstverständlich braucht der Integrator ein Netzwerk von herausragenden Persönlichkeiten und Spezialisten.

Typ Moneymaker

Eine Agentur profitabel zu führen, war noch nie so anspruchsvoll wie heute. Die Aufgabe ist so komplex und verlangt so viel Können, Erfahrung und Fingerspitzengefühl wie das Einstellen eines Formel-1-Boliden. Früher reichte VW-Käfer-Know-how. Auf der einen Seite müssen die Kosten immer weiter sinken. Auf der anderen muss es der Agentur gelingen, dass ihre Leistungen adäquat vergütet werden.

Für die angemessene Bezahlung der Agentur ist der Moneymaker verantwortlich. Seine oder ihre grosse Gabe ist es, den Wert der Agenturleistungen plausibel aufzuzeigen und den Kunden dazu zu bringen, die Agentur entsprechend zu bezahlen. Der Kunde muss das gute Gefühl haben: «Ja, das ist es mir wert.» Das Honorar zu begründen, ist anspruchsvoll. Das Honorar beim Kunden tatsächlich durchzusetzen, ist eine Kunst. Und diese beherrscht der Moneymaker. Er ist ein Verhandlungskünstler. Fünfzig Prozent der dazu notwendigen Fähigkeiten kann jeder erlernen. Die anderen fünfzig sind angeboren. Zum Beispiel das Pokerface. In den Verhandlungen mit dem Einkauf zuckt der Moneymaker mit keiner Wimper. Kein einziger Angstschweisstropfen erblickt das Licht der Welt. Provokationen oder Demütigungen lassen ihn kalt. Im Gegenteil, je härter sein Gegenüber agiert, desto charmanter ist sein Auftreten.

Die Finanzchefs sind in der Regel die Moneymaker. Das scheint so klar und selbstverständlich zu sein, dass selten jemand fragt: «Ist unser Finanzer eigentlich ein guter Moneymaker?» Oft sind sie es eben nicht. Sie mögen vielleicht gute Buchhalter, Controller oder sogar Manager sein. Aber die hohe Kunst der Verhandlung beherrschen sie nicht.

Typ Kümmerer

Es gilt der heilige Grundsatz: «Was wir sagen, tun wir auch.» Die Gesagt-getan-Rate sollte stets bei einhundert Prozent liegen. So wichtig die Gesagt-getan-Regel ist, so differenziert muss man sie jedoch betrachten. Das heisst, nicht jeder undisziplinierte Mitarbeiter ist automatisch ein schlechter Mitarbeiter. Nicht jede faule Sau ist eine dumme. Es gibt herausragende Kreative, Topberater und Superstrategen, die absolut undiszipliniert sind. Selbst ein dreimonatiger Drill in der US-amerikanischen Militärakademie West Point würde das nicht ändern.

Es gibt nur eine Lösung: Die Disziplinschwäche von hochtalentierten Menschen muss ausgeglichen werden. Im privaten Umfeld übernehmen das meist die Mütter, in der Agentur der Kümmerer. Diese Typen sind die Disziplininstanz der Agentur. Befreit von Eitelkeit kümmern sie sich darum, dass die Gesagt-getan-Rate stimmt. Sie sind die guten Geister, die dafür sorgen, dass Versprechen gehalten werden.

Natürlich machen die Kümmerer nicht alles selbst. Sie sind auch keine Dienstboten. Sie sind die Verantwortungsbewussten, die strukturieren, nachhalten, antreiben und manchmal auch böse werden, wenn Teamkollegen sich verstecken, trödeln oder sich auf Kosten anderer einen schönen Lenz machen. Ein Kümmerer hat die Fähigkeiten eines guten Managers. Wobei ein Kümmerer nicht zwangsläufig ein Manager ist. Kümmerer ist eine Einstellung, ein Persönlichkeitsmerkmal, ein natürlicher Handlungsreflex. Idealerweise ist der Manager in seinem Wesen auch ein Kümmerer. Die Realität zeichnet ein anderes Bild. Um viele Manager muss man sich kümmern.

Typ Strukturierer

Die Veränderungen in der Marketingkommunikation sind durch die unendlichen Möglichkeiten der Digitalisierung fundamental: Erstens: Die Branche entwickelt sich von einer ideenfokussierten zu einer realisationsgeprägten Branche. Die Realisation beansprucht mehr Zeit, mehr Budget und mehr Kompetenz. Zweitens: Der Wert einer Idee wird nicht mehr honoriert, sondern lediglich die Stunden, die man aufgewendet hat, diese zu finden. Das ist so, als würde man Dieter Bohlen fragen, wie lange er an der Komposition von «Cheri, Cheri Lady» gesessen hat, um ihn dann nach Stunden zu bezahlen. Drittens: Das hierarchische Arbeiten in Abteilungssilos wird von kollaborativen, offenen und schlanken Strukturen abgelöst.

Die Herausforderung ist mehr denn je, mit weniger Manpower mehr zu erreichen. Und das selbstverständlich in kürzerer Zeit. Auf diese und viele weitere Veränderungen muss sich die Agentur einstellen. Sie muss ihre Denk- und Arbeitsweisen kontinuierlich überdenken und neu strukturieren. Dafür braucht die Agentur den Strukturierer. Dieser Typ weiss, wie man sich heute und in Zukunft aufstellen und arbeiten muss, um konkurrenzfähig zu sein. Die Strukturen der Agentur sind so essentiell und entscheidend für den Erfolg wie der Motor eines Formel-1-Boliden.

Typ Sonnenschein

Grosse Ideen, bahnbrechende Konzepte und deren exzellente Umsetzungen brauchen ein freudvolles und menschliches Ambiente. Deshalb braucht jede Agenturführung den Typ Sonnenschein. Wenn der Sonnenschein den Raum betritt, erhellt und erwärmt sich die Stimmung. Die Meetingteilnehmer entkrampfen und fangen an, sich wohl und angstfrei zu fühlen. Alle machen sich locker und trauen sich, laut zu denken.

Der Typ Sonnenschein hat die Gabe, seine Mitmenschen zum Lachen zu bringen und ihnen ein gutes Gefühl zu geben. Jeder von uns hat das Bedürfnis, akzeptiert und respektiert zu werden. Der Sonnenschein vermittelt: «Gut, dass du da bist. Du bist wichtig für die Agentur, für dieses Meeting, für den Erfolg.»

Der Sonnenschein ist kein zwanghaft lustiger Hofnarr oder Animateur. Es ist einfach ihr oder sein Wesen, das strahlt. Diese Fähigkeit kann man nicht erlernen oder antrainieren. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Das Prädikat «Mann, haben wir gelacht» erhöht die Kundenbindung massgeblich. Kunden spüren in der Sekunde, in der sie die Agentur betreten, ob sie bei einem Bestattungsunternehmen gelandet sind oder bei einem freudvollen, pulsierenden und inspirierenden Hot Shop. Auch beim internen Miteinander muss die Sonne scheinen. Wenn die Stimmung zu lange düster und grau ist wie der Himmel in Hamburg von Oktober bis März, dann hauen die Leute scharenweise ab und fliegen gen Süden.

Typ Anführer

Das Thema Anführer beziehungsweise Führung wird meist weiträumig umschifft. Entweder mögen die Betroffenen nicht offen aussprechen, wer denn tatsächlich der Anführer in der Agentur oder bei einem grossen Projekt ist, oder die Führungsfrage kommt nicht auf die Agenda, weil es zu hierarchisch und damit zu oldschool wirken könnte. Na klar, es fällt erst einmal leichter, der Nette zu sein und zu propagieren: «Wir entscheiden alles gemeinsam im Team – jeder wird nach seiner Meinung gefragt. Hier wird nicht einfach so von oben bestimmt.»

Dieser kollegiale Angang schmeichelt den Kollegen. Aber am Ende ist es nicht das, was die Mannschaft wirklich will. Die Leute – insbesondere die jungen – wollen geführt werden. Sie möchten (hin)geführt werden zur besseren Leistung. Weil es ihnen gestern wie heute viel Freude bereitet, etwas gut zu machen. Erfolg ist nicht nur sexy, sondern macht auch richtig Spass. Jeder gute Anführer führt auf seine ureigene Weise. Mal laut, mal leise. Mal impulsiv, mal wohl überlegt. Die Verpackung guter Führung variiert. Das Geschenk ist immer dasselbe: Wissen, Können, Inspiration, Klarheit und Orientierung. Und dieses Geschenk wiegt mehr als jede Gehaltserhöhung. Gute Führung ist der stärkste Wirkstoff, gute Mitarbeiter zu halten.

Die gute Agenturführung versteht es, die Führungstalente in der Agentur zu identifizieren und Führungsverantwortung zu übertragen. Natürlich können nicht immer alle führen. Zu der intakten Führungskultur gehört auch das Bewusstsein, dass man als smarter Führer hin und wieder auch mal folgen muss. Es wirkt geradezu elektrisierend auf junge Menschen, wenn der Chef sagt: «Du führst das Projekt. Du sagst mir, was ich machen soll. Nutze mich als Servicedienstleister für deinen Erfolg.»

Es gibt keine Patentlösung, aber eine unumstössliche Wahrheit: Ein Mensch oder eine Gruppe ist ein Anführer – oder eben nicht. Das Leben ist nicht immer schwarz oder weiss. In diesem Fall schon. Die Mitarbeiter folgen oder folgen nicht. Für einen gewissen Zeitraum kann der schwache Anführer den Anschein erwecken, seine Truppe würde ihm bedingungslos folgen. Irgendwann kommt jedoch der Tag der Wahrheit, an dem sich offenbart, dass die Mitarbeiter deswegen noch da sind, weil sie keine bessere Alternative haben.

Mit der Zuweisung der Rolle Anführer tun sich Agenturführungen sehr schwer. Bei diesem Thema greift die Eitelkeit am stärksten. Wer gibt schon gerne zu, kein guter Anführer zu sein? Wer zeigt diese Grösse? Es verlangt viel Fingerspitzengefühl, die Führungsfrage eindeutig zu klären, ohne dabei die Führungskollegen herabzusetzen und zu demotivieren. Alles wird gut, wenn alle in der Führungsetage verstanden haben: Ein starker Anführer allein macht noch keinen Agenturerfolg. Der Erfolg ist die Summe von vielen Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmalen, über die ein Mensch allein gar nicht verfügen kann. Der Agenturerfolg wird mehr und mehr zum Führungsteamerfolg. Die Fähigkeit, ein guter Anführer zu sein, ist lediglich eine Zutat des Erfolgsrezeptes.

Die Agenturführung – die richtige Typenkonstellation

Der Meister, der Denker, der Kundenflüsterer, der Aufreisser, der Integrator, der Moneymaker, der Kümmerer, der Strukturierer, der Sonnenschein und der Anführer: Das ist nicht die Aufzählung einzelner Spieler einer zehnköpfigen Führungsmannschaft. Es sind die zehn Typen der «Typologie der Agenturführung».

Diese Typen beschreiben Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften – die Kernstärken einer Person, die in der Führungsriege in Summe vorhanden sein sollten – unabhängig davon, ob die Führung aus einer, zwei oder mehreren Personen besteht. Die ideale Führungskonstellation erfüllt die Typologie zu einhundert Prozent. Leider leben wir nicht in einer idealen, sondern in einer realen Welt. Das heisst, der Idealzustand kann und soll lediglich ein Leitbild sein.

In der Seefahrt sagt man: «Das ist unsere Ansteuerungstonne.» Die meisten Agenturen denken nicht in Stärken- und Persönlichkeitskonstellationen, sondern in Fachbereichen. Dagegen ist an sich nichts einzuwenden. Es muss eine fachliche Struktur und Verantwortung geben. Der Punkt ist nur, dass die Fachperspektive allein nicht klarstellt, ob die Agentur in der Führung professionell und zeitgemäss aufgestellt ist.

Es gibt einige wenige erfolgreiche, alleinregierende Agenturchefs, die es in Personalunion auf siebzig bis achtzig Prozent Führungsvermögen schaffen. Ihre Defizite kompensieren sie mit herausragenden Typen in der zweiten Reihe. Die erfolgreiche One-Boss-Konstellation ist jedoch selten. Erstens, weil es wirklich wenig Menschen gibt, die so vielseitig begabt und ausgebildet sind. Zweitens, weil Topmitarbeiter auf Dauer nicht in der zweiten, sondern in der ersten Reihe stehen wollen. Und drittens, weil die Auftraggeber heutzutage zumindest einen Berater, einen Kreativen, einen Strategen und immer öfter auch einen Technologen auf der Chefebene erwarten.

Ob Solo, Duo oder Trio – durch den heutigen Sturm kommt man nur mit den richtigen Typen und dem Bewusstsein, wer überhaupt was leisten kann. Das Agenturgeschäft hat sich verändert wie das Profitennis. Früher haben es Player wie Guillermo Vilas oder Henri Leconte mit «party all night long» und zum Teil eklatanten technischen Schwächen in die Top Ten der Weltrangliste geschafft. Heute muss selbst der Letzte im Ranking ausgeschlafen und technisch vollendet an den Start gehen, um überhaupt den Hauch einer Chance zu haben, eine müde Mark zu gewinnen. Die Tennisfachwelt spricht von einem «kompletten» Spieler. Und so ist es mit der Führung der Agentur. Sie muss heutzutage komplett sein.

Wer fachlich etwas gut kann und dabei ein echter Typ ist, findet seine (neue) Traumkonstellation. Und der Ärger, die Wehmut und die Enttäuschungen, die oft mit dem Verlassen der alten Konstellation einhergehen, sind so vergänglich wie die Werbung selbst.