10 Schritte zu mehr Selbstorganisation in Kleinagenturen
David Bächtold, Dina Dändliker, Rolf Helfenstein
Viele Agenturen möchten agiler werden. Doch ist dies im Falle von Kleinagenturen überhaupt notwendig? Ist ein hoher Grad an Selbstorganisation und Agilität nicht sowieso ein Standardvorteil jedes kleineren Unternehmens? Leider werden viele kleine Agenturen weiterhin stark transaktional geführt. Personenkult, überrissene Jobtitel, Abteilungsdenken und starre Prozesse führen zu Ineffizienz und geringer Autonomie der Mitarbeitenden. Um die heutigen Anforderungen meistern zu können, sollten Handlungs- und Entscheidungskompetenzen jedoch vermehrt in die Projektteams delegiert werden. Die folgenden zehn Schritte zu mehr Selbstorganisation zeigen, wie und in welcher Reihenfolge eine Agentur hierbei vorgehen kann und was es zu beachten gilt.
In den letzten Jahren hat der Druck auf Kreativagenturen stark zugenommen. Zuerst spürten dies die kleineren und schwächeren unter ihnen – verzögert bekommen dies nun aber auch reine Digitalagenturen und grössere, renommierte Kreativagenturen zu spüren. Verschiedene externe Faktoren machen den Agenturen zu schaffen:
Die Geschäftsfelder verändern sich in der VUCA-Welt immer schneller. Ständig poppen neue Themen auf und das vorhandene Wissen verliert in immer kürzeren Abständen an Wert. Der digitale Wandel verlangt neue Kompetenzen und Investitionen in Infrastruktur, Software, neue Fachkräfte und Schulung. Selbst eine Grossagentur kann unmöglich alles alleine abdecken. Im eigenen Unternehmen fehlende Kompetenzen und Kapazitäten werden vermehrt extern eingekauft. Entsprechend passt der Begriff Full Service immer weniger.
Marketingkommunikation und Werbung als Teile der von Agenturen angebotenen Dienstleistungen agieren in einem gesättigten Markt. Das Marktvolumen stagniert trotz Bevölkerungswachstum seit vielen Jahren. Die Preise sind in den letzten 20 Jahren erodiert. So wird eine Agentur heute trotz Fragmentierung der Medien und entsprechend komplexerer und umfangreicherer Arbeit viel schlechter bezahlt. Gleichzeitig gibt es immer mehr projektbasierte Aufträge und immer weniger langfristige Partnerschaften im Sinne der Wahl einer festen Hausagentur seitens der Kunden. In der Summe führt dies dazu, dass die Margen markant sinken und die Mittel für Investitionen fehlen.
Mit geringeren Erträgen für umfangreichere Arbeit müssen alle Mitarbeitenden mehr leisten. Doch heute ist eine gesunde Work-Life-Balance eine Grundvoraussetzung. Die individuelle Karriere hat für viele Mitarbeitende an Stellenwert verloren und es besteht somit auch weniger Interesse, mit besonders viel Einsatz ausserordentlich aufzufallen und schnell befördert zu werden. Dieser Wertewandel stellt eine Herausforderung für das Recruiting dar: Junge Mitarbeitende suchen mehr Sinnhaftigkeit und Gestaltungsfreiheit in ihrer Arbeit, als dies klassische Agenturen bieten können.
Weiter ist auch die Kompetenz auf Kundenseite in den letzten Jahren stark gewachsen. Einerseits, weil viele vorher in Agenturen Beschäftigte auf die Kundenseite gewechselt haben. Andererseits ist der Erfolg von digitalen Werbemassnahmen heute sehr gut messbar, was den Kunden die Möglichkeit zur Evaluation der Agenturleistung verschafft. Beides zusammen führte dazu, dass die Agenturen ihre Machtstellung als allwissende Experten verloren haben.
Selbstorganisation als Chance
Neben agilen Arbeitsweisen wie Scrum, Design Thinking oder Kollaborations-Modellen mit Netzwerkpartnern kann auch eine stärkere Selbstorganisation einen entscheidenden Beitrag leisten, um die genannten Herausforderungen zu meistern. Dabei sollen die Handlungs- und die Entscheidungskompetenz in die Projektteams delegiert werden. Die daraus resultierenden Effekte sind die folgenden:
- Kleinere Teams können komplexe Projekte umsetzen. Sie agieren schlanker und schneller.
- Mehr Selbstbestimmung fördert die Motivation und Identifikation der Mitarbeitenden.
- Freiräume machen die Branche für Eltern, Teilzeitler und Mehr-Beruflerinnen attraktiver.
- Selbstorganisation entlastet die Führung, die Stabs- und Servicestellen. Dies senkt die Kosten.
- Selbstorganisation fördert Innovation: Es wird eher Neues ausprobiert. Die Organisation lernt schneller.
Will eine Agentur die Selbstorganisation von Mitarbeitenden und Teams stärken, bedingt dies den entsprechenden Willen, Geduld, die Bereitschaft zum Experimentieren mit neuen Ansätzen sowie ein etappiertes Vorgehen. Die folgenden zehn Schritte sind eine Empfehlung für die Entwicklung hin zu einer selbstorganisierten Agentur. Eine Bemerkung vorab: Jedes Unternehmen ist anders – und entsprechend sollte der Prozess individuell adaptiert werden. Auch wird sich erst mit der Zeit herauskristallisieren, welcher Grad an Selbstorganisation zur jeweiligen Agentur passt. Begonnen wird mit ersten kleinen Schritten. Dabei werden Erfahrungen gesammelt, Erkenntnisse gewonnen und darauf basierend das weitere Vorgehen sowie die nächsten Etappenziele laufend neu angepasst. Auch Schritte zurück sind möglich. Es sollte aber darauf verzichtet werden, zu viele Stufen auf einmal nehmen zu wollen – so kann sich die Organisation organisch anpassen und Chaos vermeiden.
Die 10 Schritte in einem idealtypischen Ablauf
1. Gesprächskultur etablieren
Selbstorganisation kann nur in einer offenen, fairen und direkten Feedback-Kultur funktionieren. Dies bedeutet, dass in Meetings alle Meinungen und Stimmen gehört werden und das gleiche Gewicht haben. Dazu gehört auch konstruktive Bottom-up-Kritik von den Mitarbeitenden zur Führungsmannschaft. Um dies zu erreichen, werden klare, schriftlich definierte Regeln benötigt: Welche Meetings gibt es und was ist deren Zweck? Wie sollen diese idealtypisch ablaufen? Wer moderiert die Gespräche? Wie fallen Entscheide? Und wie wird sichergestellt, dass die gesamte kollektive Intelligenz und Erfahrung genutzt wird?
2. Zweck (purpose) definieren
Das Fundament für selbstorganisierte Teams oder Unternehmen ist ein klar definierter Zweck (purpose). Problematisch ist die in Agenturen verbreitete Annahme, eine sinnstiftende Vision existiere bereits: Fragt man nämlich bei Mitarbeitenden nach, hört man oft die unterschiedlichsten Interpretationen. Es gilt, ein tiefes Verständnis für die gemeinsame Vision zu schaffen und diese auch zu leben.
Es ist lohnenswert, das gesamte Team bei einem Off-site-Event zu vereinen, um die Vision und die Werte der Agentur zu bestimmen und in einem Manifest festzuhalten. Damit diese auch in das tägliche Verhalten einfliessen, sollten konkrete Handlungsanweisungen für jede Abteilung und jede Funktion abgeleitet werden. Dies stellt zudem die korrekte Interpretation des Manifests sicher.
In dieser frühen Phase auf dem Weg zu mehr Selbstorganisation sollte primär ein Bewusstsein für die individuelle Verpflichtung geschaffen werden. Es gilt, ein Verständnis dafür zu etablieren, dass alle ihren Beitrag leisten müssen und dafür die Verantwortung tragen. Auch soll das Team sensibilisiert werden, zu reagieren, wenn der definierte purpose oder die Werte dahinter gefährdet sind.
3. Kultur der Gesamtorganisation fördern
Ein Risiko von mehr Autonomie und Selbstorganisation ist, dass sich ein neues Gärtchendenken entwickelt – statt in den Abteilungen nun in den Projektteams. Um dem entgegenzuwirken, muss die Agentur sich immer wieder als Ganzes zusammenfinden, um als Einheit zu funktionieren.
Dafür geeignet sind Events, die das komplette Team auf persönlicher Ebene näher zusammenbringen. Dazu gehören spontane Apéros genauso wie das Tischtennisturnier oder das jährliche Skiwochenende. Neben diesen sozialen Anlässen sind regelmässige Termine wichtig, bei welchen die Firma im Mittelpunkt steht – zum Beispiel im Rahmen von wöchentlichen Sitzungen am Montagmorgen oder vierteljährlichen Rück- und Ausblicken.
Eine gemeinsame Kultur bedingt auch gemeinsame Regeln: Wie arbeiten wir zusammen? Wie kommunizieren wir miteinander? Was ist uns in der täglichen Arbeit wichtig? Wie gehen wir damit um, wenn Regeln nicht eingehalten werden? Neueintretende sollten die Regeln rasch kennenlernen und deren Einhaltung muss kontrolliert werden – zum Beispiele durch Peers oder die Wahl von «Wächtern», welche ihr Ämtchen für eine gewisse Zeit ausführen.
4. Kollaborative Räume schaffen (real und virtuell)
Eine weitere Basis für die Selbstorganisation ist Raum für Kollaboration und Austausch. Das bezieht sich nicht nur auf physische Räumlichkeiten, sondern auch auf digitale Tools. Dazu bestehen verschiedene Konzepte – von rotierenden Arbeitsplätzen über war rooms für Projekte bis hin zu mehr Transparenz durch die Auslagerung der individuellen Arbeit in cloud-basierte, kollaborative und allen Mitarbeitenden zugängliche Software.
Selbst wenn es aus verschiedensten Gründen vorerst bei fixen physischen Arbeitsplätzen bleibt, sollten zwingend genügend Räume oder Ecken geschaffen werden, die für den Austausch innerhalb von Projektteams oder Fachbereichen zur Verfügung stehen. Kleine Verbesserungen schaffen bereits höhenverstellbare Arbeitstische oder separat platzierbare Bartische: So können auf unkomplizierte Weise kurze Besprechungen abgehalten werden. Die Nutzung von externen coworking spaces kann das Raumangebot punktuell erweitern und für neue Impulse sorgen.
Mit cloud-basierter, inkludierender Software können mehrere Personen gleichzeitig an einem Dokument arbeiten und stetig Änderungsvorschläge sowie Anregungen und Kommentare hinzufügen. Dies fördert das Verständnis für das gemeinsame (Er-)Arbeiten.
5. Wissenstransfer fördern
Kollaborative Tools alleine reichen nicht aus, um eine umfassende Wissensvermittlung sicherzustellen. Gerade wenn man vornehmlich in projektbasierten und interdisziplinären Teams arbeitet, ist es wichtig, alle Mitarbeitenden hin und wieder an einen Tisch zu bringen. So wird garantiert, dass alle Teammitglieder auf demselben Wissensstand sind. Neben der Retrospektive am Ende von Projekten sollten bereits im Verlauf der Projektarbeit regelmässige Status-Updates abgehalten werden. Hier empfehlen sich Dailies oder Weeklies, die nach Stand-up-Manier (also stehend) abgehalten werden. Dabei geht jedes Teammitglied auf drei Fragen ein: «Was habe ich gestern abgeschlossen?», «An was arbeite ich heute?» und «Welche Hürden behindern meinen Fortschritt?».
Ein Werkzeug für den Austausch im gesamten Unternehmen sind regelmässige Meetings mit dem Zweck des internen Storytellings. Einzelne Teams können über Erfolge und Hürden in aktuellen Projekten berichten sowie spezifische Themen aus ihren Fachbereichen vorstellen. Fehler sollten dokumentiert und teamübergreifend geteilt werden, beispielsweise auf einer wall of lessons learned. Das wirkt verbindend und ermöglicht den Mitarbeitenden, voneinander zu lernen.
6. Entwicklungsfreiraum offerieren
Ein grosser Treiber für Selbstorganisation ist die Zufriedenheit und Motivation der einzelnen Mitarbeitenden. Diese stehen in starkem Masse in Relation zur persönlichen Weiterentwicklung. Um diese Weiterentwicklung zu ermöglichen, sollte vermieden werden, Teams stets komplett mit Projektarbeit oder internen Aufgaben auszulasten.
Es ist wichtig, ein System zu schaffen, das jeder Person ein gewisses Kontingent an Zeit ausserhalb der Projektarbeit zur Verfügung stellt und gleichzeitig flexibel genug ist, um auch im variierenden Tagesablauf zu funktionieren.
Eine mögliche Lösung ist ein System, das allen Mitarbeitenden einen jeweiligen Prozentsatz an projektbasierten sowie an flexiblen Stunden zuweist. Letztere geben den Einzelnen Raum, sich auch während des Alltagsgeschäfts mit spannenden, teilweise projektfremden Themen auseinanderzusetzen. Wenn innerhalb der Agentur bereits auf Jahresarbeitszeit umgestellt wurde, können diese flexiblen Stunden auch gebündelt bezogen werden.
Zudem empfiehlt sich die Einführung eines Weiterbildungsbudgets. Alle Mitarbeitenden erhalten eine gewisse Anzahl Tage und ein Budget pro Jahr, welches sie beispielsweise für den Besuch von Konferenzen, Schulungen oder Weiterbildungen einsetzen können.
7. Coachen statt Führen
Es gilt, das klassische Vorgesetzte-Angestellten-Denken zu reduzieren. Mitarbeitende müssen lernen, Eigenverantwortung zu übernehmen und nicht bei jeder Kleinigkeit nach oben zu rapportieren; Chefinnen und Chefs ihrerseits müssen lernen, die Top-down-Mentalität abzulegen und vermehrt als Coaches zu agieren.
Führungspersonen sollten sich als servant leaders verstehen. Das heisst, dass sie zwar beratend beigezogen werden können, wenn seitens des Teams oder einzelner Mitarbeitender Bedarf besteht, sie sich aber nicht proaktiv aufdrängen. Mit einer solchen Haltung wird Vertrauen vermittelt.
Natürlich kann der Pull-Ansatz auch innerhalb von Projektteams oder Fachbereichen gelebt werden: als peer coaching zwischen Mitarbeiter und Mitarbeiterin. Dabei muss die Rolle des Coachs nicht zwingendermassen vom erfahrensten oder dienstältesten Mitarbeitenden innerhalb eines Fachbereichs eingenommen werden; auch rotierende Modelle sind denkbar. Beim Onboarding können Götti- oder Paten-Rollen dabei helfen, dass das Team neue Mitarbeitende selbst einarbeiten kann.
8. Mediation bei Konflikten einsetzen
Mit mehr Selbstverantwortung und einer offen gelebten Feedback-Kultur verlagert sich auch das Krisenmanagement. Mitarbeitende müssen zunehmend lernen, mit schwierigen und unangenehmen Situationen umzugehen.
Ein möglicher Ansatz ist es, dem Team Mediatoren zur Verfügung zu stellen, die in schwierigen Fällen beigezogen werden. Dabei empfiehlt es sich, nicht auf bestehende Teammitglieder und schon gar nicht auf ehemalige Vorgesetzte zurückzugreifen. Neutralität und minimale Vorbelastung sind hier unabdingbar.
9. Fluide Job-Bilder leben
Ein Element, das bei der Stärkung von Selbstorganisation toxisch wirken kann, sind überrissene Jobtitel – speziell dann, wenn diese die Seniorität der Mitarbeitenden widerspiegelt. Wieso sollte sich ein Design Director die Finger schmutzig machen, wenn sie es auch an den Junior Designer delegieren kann? Wieso sollte der Trainee ein Synchronisationsproblem autonom lösen, wenn er direkt dem Senior Engineer rapportiert?
Um weiterzukommen, müssen wir uns von den klassischen Jobtiteln lösen und stattdessen fähigkeitsbasierte Funktionen definieren und einführen. Mitarbeitende können ihre Skills und Expertenlevels selbst einordnen – beispielsweise so: Teammitglied 1 bringt in Fähigkeit A drei Sterne mit, in Fähigkeit B einen Stern und in Fähigkeit C zwei Sterne. Dies erlaubt es, die Fähigkeiten des gesamten Teams in einer Matrix abzubilden und Projektteams auf komplett neue Weise zusammenzustellen.
Dieser Ansatz ermöglicht auch Rollenflexibilität. Irgendwann wird es zur Normalität, dass ein Teammitglied in einem Projekt der erfahrenste Designer und im nächsten ein wenig erfahrener Konzepter ist. Es begünstigt zudem, dass spiralförmige Karrieren an Akzeptanz gewinnen und das Abtreten einer Rolle nicht mit einem Gesichtsverlust gleichgestellt wird.
10. Autonomie fördern
Mit mehr Verantwortung sollte auch mehr Freiheit einhergehen. Es empfiehlt sich, von der Vorschreibung fix zu leistender Arbeitsstunden pro Tag wegzukommen, denn dies lässt sich weder mit den unterschiedlichen Lebensumständen der Mitarbeitenden, noch mit der stark variierenden Auslastung im Projektgeschäft vereinen. Ein Wechsel auf Jahresarbeitszeit kann hier die Lösung sein. Damit entsteht die Möglichkeit, die Arbeitsmenge (unabhängig vom Pensum) situativ anzupassen und so bei schönem Wetter auch mal früher in den Feierabend zu gehen oder eine Nachtschicht einzulegen, wenn man gerade in Fahrt ist.
Auch sollte die Möglichkeit gegeben sein, sich zwischenzeitlich einen Arbeitsort ausserhalb des Büros einzurichten: als Homeoffice, in einem Café oder im Ferienhaus in den Bergen – natürlich nur, solange sich dies mit dem Projekt und der Arbeitslage vereinbaren lässt.
Projektteams sollten ermutigt werden, auch Inhalts- und Budgetentscheidungen zu treffen und gegenüber der Agentur und der Kundschaft zu vertreten. Dieser neue Handlungsspielraum fördert das Verständnis für betriebswirtschaftliche Zusammenhänge und stärkt das Vertrauen. Es empfiehlt sich, das Team bereits bei konkreten Neugeschäftsanfragen einzubeziehen. So könnten die Teammitglieder beispielsweise über die Annahme neuer Projekte abstimmen und sich später für das Mitwirken bei deren Umsetzung bewerben.
Ein weiterer Schritt ist, dass auch die Rekrutierung von Mitarbeitenden partizipativ durchgeführt wird. Diese Vorstellung ist für viele Unternehmen insbesondere in Bezug auf die Lohnverhandlungen abschreckend. Doch gerade bei der Transformation hin zur Selbstorganisation können auch Mittelwege gefunden werden: Während beispielsweise die initiale Evaluation sowie die Vertragsverhandlungen in der Verantwortung der Vorgesetzten verbleiben, könnten Mitarbeitende dann aber in die Bewerbungsgespräche involviert werden. Ein Evaluationsmechanismus, der sich hierfür empfiehlt, sind sogenannte Speeddates, in welchen sich die jeweilige Bewerberin mit drei bis fünf Mitarbeitenden während ungefähr 20 Minuten unterhält. Somit entscheiden dann mehrere Mitarbeitende, ob Purpose- und Team-Fit gegeben sind.
Und wie weiter?
Agenturen, welche diese ersten Schritte in Richtung mehr Selbstorganisation gewagt haben, werden spüren, wie die Führungs-, Stabs- und Servicestellen nach und nach entlastet werden. Dadurch werden mittelfristig eindeutig Ressourcen gespart und mehr Raum für Veränderung geschaffen. Für fähige Kräfte, welche die Chancen der neuen Organisation erkennen und sich dafür engagieren wollen, sollten frühzeitig neue Rollen innerhalb der Organisation gesucht oder geschaffen werden. Es wird aber unausweichlich auch zu teils schmerzhaften Trennungen kommen.
Sind diese ersten Schritte absolviert, können Firmen mit einem nun hohen Grad an Selbstorganisation als weitere Schritte beispielsweise die Leistungsbeurteilung in die Teams delegieren und mit definierten Regeln versehen. Ein erfahrenes Team wird den Beitrag jedes Teammitglieds, seine Skills und seinen Expertenstatus besser beurteilen können als eine einzelne Vorgesetzte. Dies führt automatisch zu einer Angleichung und einer höheren Transparenz der Gehälter und Boni. In der Endstufe der Selbstorganisation kann das Team auch Einstellungen und Kündigungen vornehmen und seine Vorgesetzten für eine bestimmte Zeitdauer selbst wählen.
In einen Veränderungsprozess für mehr Selbstorganisation zu starten, braucht zweifelsfrei eine grosse Portion Mut, die Lust, Neues zu probieren und zu erfahren, sowie ein hohes Mass an Lernbereitschaft aller Beteiligten. Nichtsdestotrotz sind wir überzeugt, dass sich die Reise lohnt. Zudem müssen Agenturen nicht alle Schritte durchlaufen, bis erste Veränderungen spürbar werden: Bereits die Auseinandersetzung in Form von Gesprächen und Diskussionen zum Thema schafft ein neues Gemeinschaftsgefühl, sorgt für Aufbruch und wirkt unmittelbar positiv auf die Flexibilität und Attraktivität einer Agentur. Somit bleibt nur die eine Frage offen: Wann starten Sie die Reise?