Leadership Essays 2022

Du spürst eine Spannung? Gratuliere!

Handlungsräume für positive Konfliktlösungen schaffen

Von Olivia Berger, Priska Meyer, Sharon Nehrenheim, Mergime Raci, Christina Schär und Simon Winkler

Von Kindesbein an erleben wir Konflikte als möglichst zu vermeidende, unangenehme Erlebnisse. Angefangen bei «Nöd striite!» im Kindergarten über die Sanktionierung von Widerrede im Schulzimmer bis hin zu Leitsätzen für eine harmonische Arbeitsatmosphäre im Berufsleben werden wir kulturell dazu erzogen, Konflikte zu umgehen. Im besten Fall gelingt es, mit kleinstmöglicher Reibung zu dem gleichen Verständnis zu gelangen wie unser Gegenüber und uns zu einigen. Im schlechtesten Fall verdrängen wir Konflikte, schlucken sie runter oder lassen die Situation eskalieren. Trotz dieser ausweichenden gesellschaftlich geprägten Einstellung gegenüber Konflikten manifestieren sich immer wieder Situationen, in denen es nicht möglich ist, Uneinigkeiten gänzlich aus dem Weg zu gehen.

Dem Unvermeidbaren mit offenen Armen begegnen

Was wäre, wenn wir stattdessen das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Wünsche und Bedürfnisse nicht nur als destruktiven Vorgang betrachteten? Wenn wir in einer Auseinandersetzung nicht davon ausgingen, dass eine Seite gewinnt und die andere verliert? Was, wenn wir die Reibung durch unterschiedliche Herangehens- und Sichtweisen als Potenzial für positive Energie und einen Raum wahrnehmen würden, in dem unterschiedliche Blickwinkel und wertvolles Wissen aufeinandertreffen?

Wir, die Autor: innen, sind sechs Menschen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen, darunter der Gesundheitsbereich, die Gastronomie, der soziale Auftrag, die Kreativbranche und der Non-Profit-Bereich. Wir möchten aufzeigen, wie wir im Arbeitsalltag mutiger und zuversichtlicher mit Spannungen umgehen können, wenn wir uns einen passenden Handlungsraum schaffen und unsere Energie in das Initiieren eines konstruktiven Prozesses fliesst.

Im ersten Teil stellen wir den Handlungsraum vor und gehen darauf ein, wie unsere eigenen und aus unserem Umfeld erzählte positiv erlebte Konfliktsituationen zu diesem Raum geführt haben. Im zweiten Teil beleuchten wir fünf Erfolgsfaktoren, die den positiven Ausgang einer Konfliktsituation begünstigen. Zum Schluss gehen wir darauf ein, wie die Auseinandersetzung mit dem Thema Konfliktlösung unseren Blick auf Konfliktsituationen verändert hat. Wir hoffen, dass sich auch Leser:innen dieses Textes künftig weniger vor Konflikten scheuen werden. Was hingegen nicht erwartet werden soll, ist ein allgemeingültiges, modellhaftes Rezept zur erfolgreichen Konfliktlösung.

Das Tor zum Handlungsraum ist das Tor zur Energie

Konflikte verstehen sich als Auseinandersetzungen, die auf unterschiedlichen Interessen von Individuen, häufig mit divergierenden Erfahrungen und Prägungen, basieren. In der Folge verhärtet sich die Situation oft und es zeichnet sich am Horizont die Gefahr eines Zerwürfnisses ab. Das ist zum einen die Stelle, an der wir intuitiv mindestens einen Schritt zurück machen. Zum anderen ist es auch genau die Stelle, davon sind wir überzeugt, die grosses Potenzial für Positives birgt. Der Autor und Unternehmensberater Reinhard Sprenger beschreibt Konflikte als Zeichen dafür, dass grundsätzlich viel Energie und Engagement vorhanden ist und eine gemeinsame Zukunft nach wie vor angestrebt wird. Diese verbindenden Elemente – ein gemeinsames Problemverständnis und Engagement – sehen wir als gute Voraussetzung dafür, dass eine Konfliktbewältigung grundsätzlich auch ein positiver Prozess sein kann.

Wertvolle Energien in Spannungen werden nicht sichtbar, wenn es das Ziel bleibt, eine harmonische Situation um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Somit sind wir überzeugt, dass das Zusammenführen unterschiedlicher Meinungen, Personen und Lösungsansätze meist bessere Ergebnisse liefert als ein Winner-takes-all-Prinzip. Auch in der Fachliteratur wird vermehrt dazu aufgerufen, Konflikte aktiv und mutig zu nutzen. Das Buch «Der Loop-Approach» lädt ein, sich diesen Spannungen zu stellen und durch proaktives Handeln kleine Veränderungen zu ermöglichen. Davon ausgehend können Spannungen als Quelle der Inspiration und zum Freisetzen von Dynamik gesehen werden. Wie im Text «Organisationen, die sich fetzen» beschrieben, können Konfliktsituationen im Arbeitskontext ebenfalls genutzt werden, um Diversität zu leben, um Neues hervorzubringen oder um die Performance zu verbessern.

Um diesem riesigen Potenzial auf den Grund zu gehen, haben wir uns als Gruppe gegenseitig von positiv erlebten Konflikten berichtet. Dabei ist uns aufgefallen, dass die Berichte jeweils einem ähnlichen Schema folgen. In jeder der Erzählungen gibt es einen Handlungsraum, der massgeblich ist für einen erfolgreichen Umgang mit Spannungen. Diesem Schema folgend durchläuft eine erfolgreiche Konfliktlösung drei Schritte: (1) Die Basis bildet eine Spannung, also das Gefühl einer Unstimmigkeit. Beispielsweise sieht eine Person ein Problem, hat eine gegenläufige Idee oder äussert eine kritische Frage. An dieser Stelle werden weitere Konfrontationen entweder vermieden oder die betroffene Person geht einen Schritt vor und kommt ins (2) Handeln. Die Handlung ermöglicht grundsätzlich (3) die Lösung der Spannung. Möglicherweise führt eine Handlung nicht direkt zur Auflösung des Konflikts. Somit braucht es regelmässig weitere Dialoge und iteratives Vorgehen, bis eine Auflösung erfolgt. Wie diese schliesslich im konkreten Fall aussieht, ist offen. Das kann von einer zufriedenstellenden Einigung für die beteiligten Parteien über eine Kompromisslösung bis hin zur Trennung alles sein.

Abb. 1: Schematische Darstellung des Konfliktverlaufs (eigene Darstellung)

Die Beobachtungen aus den Erzählungen machen deutlich, dass der Raum rund um die Handlung die Konfliktlösung einleitet und als Brücke zwischen einer Spannung und deren Auflösung dient. Wir haben diesen Bereich als Handlungsraum identifiziert und verstehen darunter ein Umfeld, in dem Beteiligte zum Handeln befähigt sind. Diesen Erkenntnissen folgend formulieren wir die Annahme, dass Handlungsraum und Handlungsfähigkeit zentral sind für eine erfolgreiche, gewinnbringende Konfliktlösung.

Abb. 2: Fragestellung und Ergebnisse der Umfrage unter den Interview-Teilnehmer:innen innerhalb und ausserhalb der Projektgruppe.

Die Rückmeldungen sind divers: Während einige Erfahrungen sehr frisch oder noch nicht abgeschlossen sind, liegen andere bereits Jahre zurück. Die Bandbreite der Situationen, Konstellationen, Branchen und Persönlichkeiten ist unglaublich vielfältig. Teilweise handelt es sich um Vorgesetzte, die einen Konflikt mit ihren Mitarbeitenden austragen, manchmal sind es Konflikte unter Peers aus anderen Abteilungen oder Auseinandersetzungen zwischen Mitarbeitenden und deren Vorgesetzten.

Die Rückmeldungen zeigen zudem, dass einer Konfliktsituation ein Auslöser zugrunde liegt, der mindestens eine beteiligte Person zum Handeln drängt. Zum anderen lassen sich aus den Rückmeldungen hinderliche Faktoren für die Gestaltung eines produktiven Handlungsraums identifizieren, darunter die Sozialisierung in Richtung Konfliktvermeidung, stark gewichtete hierarchische Unterschiede oder verletzende Erfahrungen in der Vergangenheit. Dem gegenüber stehen Aspekte wie eine offene Kommunikationskultur, das Vertrauen unter Gesprächspartner:innen sowie das, was Amy C. Edmondson, Professorin für Leadership und Management an der Harvard Business School und Autorin, als psychologische Sicherheit definiert.

Aus dem Leben: Erfolgsfaktoren einer positiven Konfliktlösung

In den nachfolgenden Überlegungen gehen wir davon aus, dass die betrachteten Konfliktsituationen einem Verlauf folgen, der dem Schema in Abbildung 1 entspricht. Im Zentrum dieser Beobachtungen steht der Handlungsraum, in dem Konfliktsituationen aktiv angegangen werden. Denn es ist von besonderem Interesse, wie und wann Personen in einem Konflikt ins Handeln kommen. Es gilt zu erkennen, was um diese Personen herum vorhanden ist und sie dabei unterstützt, in Aktion zu treten. Hierbei wird bewusst jeweils nur eine Seite des Konfliktes abgebildet und es entsteht kein abschliessendes Bild über die Gesamtsituation.

Im Zentrum stehen Reaktionen auf die folgenden Fragen:

  • Was hat dir geholfen, dass du ins Handeln gekommen bist?
  • Worin bestand die Handlung?
  • Was lief gut und warum?
  • Was würdest du im Nachhinein anders machen oder inwiefern hättest du dir einen anderen Verlauf des Konflikts gewünscht? Warum?

Die Antworten auf diese Fragen geben Hinweise darauf, wie die Personen Konflikte wahrnehmen und in der Reflexion betrachten. Die Beispiele zeigen, dass zwei Faktoren immer vorhanden sind: das implizite oder explizite Bewusstsein, dass sich die Personen in einer Konfliktsituation befinden, sowie das Schaffen eines Rahmens, der eine positive Auflösung der Situation ermöglicht. Weitere Faktoren, die nicht immer vorhanden sind, jedoch mehrmals vorkommen, haben wir gruppiert und gehen nachfolgend im Detail auf die für uns relevantesten ein.

Abb. 3: Gruppierung der Auslöser von Handlungen. Die Zahl zeigt die Häufigkeit des jeweiligen Auslösers an, Mehrfachnennungen waren möglich.

Es mag wenig überraschen, dass die Befragten mit grosser Mehrheit erzählten, es könne «einfach nicht mehr so weitergehen». Vor dem Hintergrund dieses Essays interpretieren wir diese Aussagen als Hinweis darauf, dass ohne Handlung bedeutend Stress auf das Team übergreifen würde, Individuen an ihre Grenzen kommen würden, sie die Organisation verlassen wollen könnten oder schlicht keine produktiven Ergebnisse mehr zustande kämen. Meist haben die Situationen Vorgeschichten und der Anstoss für die Handlung ist der berüchtigte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wir konzentrieren uns auf diese erste Handlung, welche es ermöglicht, aus der Eskalationsspirale auszubrechen und die Spannungen konstruktiv zu nutzen.

Abb. 4: Gruppierung der Handlungsstrategien. Die Zahlen zeigen die Anzahl Nennungen an, Mehrfachnennungen waren möglich.

Ein erster Schritt beinhaltet häufig, einen impliziten Sachverhalt explizit zu machen. Die meistgenannte Handlung, und aus unserer Sicht die entscheidende für den positiven Ausgang, ist es, eines oder mehrere Gespräche zu initiieren. In den Beispielen finden diese fast immer von Angesicht zu Angesicht statt. Die Strategien sind unterschiedlich und im Kern geht es vielfach um Kommunikation, wobei der Fokus nicht so sehr darauf liegt, was gesagt wird, sondern wie etwas gesagt wird. Der Essay beleuchtet diverse Strategien: die Problematik proaktiv ansprechen, das Gegenüber wertschätzen, die Konfrontation aufschieben oder zumindest hinauszögern sowie eine Drittperson beiziehen.

Erfolgsfaktor #1: Proaktives Ansprechen der Problematik

Das proaktive Ansprechen von Schwierigkeiten ist der am häufigsten identifizierte Erfolgsfaktor und auch derjenige, vor dem wir uns in der Regel fürchten. Denn um Konflikte positiv anzugehen, ist es unerlässlich, auch schmerzvolle Dinge offen anzusprechen. Dass dies ein wichtiger, stärkender Schritt in einer Konfliktlösung sein kann, unterstreicht unter anderem der Artikel «Managing a Polarized Workforce» aus der Harvard Business Review. Darin schlagen die Autor:innen vor, dass Führungspersonen eine offene Gesprächskultur fördern und schulen sollen. In den Beispielen unserer Untersuchung, in denen die Problematik offen angesprochen werden, befinden sich die Konfliktparteien in einem bilateralen Gespräch in einem vertrauten Rahmen. Das sind beispielsweise Mitarbeitendenbeurteilungen oder Gespräche ausserhalb der Organisation bei einem Bier.

Das Gespräch wiederum bildet einen Rahmen, um über die tieferliegenden Gründe für den Konflikt zu sprechen, da es sich nie «nur» um ein Sachthema dreht. Das Ansprechen bietet den Involvierten die Chance, das Gespräch von Anfang an in konstruktive Bahnen zu lenken. Sobald die Konflikte angesprochen werden, können sich die Personen auf das Thema konzentrieren und müssen nicht länger Energie für Ängste und Was-wäre-wenn-Szenarien aufwenden. In solchen Momenten ist es entscheidend, ehrlich zu sein. Dies schafft gegenseitiges Vertrauen und gibt dem Gegenüber die Möglichkeit, sich ebenfalls zu öffnen. Die zentralen Faktoren also sind: der passende Rahmen, der Zeitpunkt und mit wem der Konflikt angesprochen wird.

Erfolgsfaktor #2: Vermittlung von Wertschätzung

In drei Fällen wird ausgeführt, dass die erfolgreiche Konfliktlösung eingeleitet wurde, indem eine Partei aktiv und ausdrücklich ihre Wertschätzung vermittelte. In diesen Situationen wurde durch die ausdrückliche Zusicherung von Vertrauen, Unterstützung und des Wunsches nach einer weiterhin erfolgreichen Zusammenarbeit eine positive Konfliktlösung initiiert. Es muss nicht immer gleich eine Umarmung sein, wie es in einer der erzählten Konfliktgeschichten der Fall ist. Emotionale Nähe und Empathie sind jedoch notwendige Voraussetzungen, um Bedürfnisse zu erkennen und konstruktiv zu nutzen. Denn Frustration oder das Gefühl unwichtig zu sein, übergangen oder nicht ernst genommen zu werden, sind zwar oft präsent, werden aber selten ausgesprochen.

Der Ansatz von Gewaltfreier Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg geht davon aus, dass das Erkennen und Benennen von Bedürfnissen der Schlüssel für eine erfolgreiche Kommunikation ist. Diese Erkenntnis untermauert, wie wichtig es ist, in Konfliktgesprächen immer wieder Klarheit darüber zu erlangen, um welches Bedürfnis es in einem Konflikt wirklich geht. Denn meist sind die verlegten Schrauben, ein falsch abgelegtes Dokument oder das letzte Meeting gar nicht die wirklichen Quellen des Konflikts. Viel öfters sind es Situationen, Eindrücke und Handlungen, fehlende Wertschätzung, aufgestaute Frustration oder Unachtsamkeit, die Konflikte negativ befeuern. Hinzukommen gelegentlich auch Unverständnis für die Sicht des Gegenübers, falsche Annahmen und Vorurteile. Ziel des Dialoges muss es deshalb sein, zum Kern des Konfliktes vorzudringen und die Problematik wirklich zu benennen. Dies bedingt den Mut der Beteiligten, zu persönlichen Ansichten, Gefühlen, Werten und Bedürfnissen zu stehen und diese zu äussern.

Erfolgsfaktor #3: Aufschieben des Konfliktes

Gemäss des Artikels «Managing a Polarized Workforce» überschätzen Menschen die negativen Emotionen vor dem Konflikt und stellen im Nachhinein fest, dass eine Konfrontation zwar unangenehm, jedoch nicht unbedingt abträglich war. Diese negativen Gefühle verhindern es, dass eine schwierige Unterhaltung überhaupt gestartet wird. In den hier beleuchteten Beispielen spiegelte das Hinauszögern von Konflikten teilweise die eigene Unsicherheit über das beste Vorgehen, teilweise gründete es in der Hoffnung, dass der Konflikt sich von selbst löst. In einer der Erzählungen ging die Strategie des Abwartens insofern auf, als eine der Personen die Organisation von sich aus verliess und der Konflikt nicht fortbestand.

In einer weiteren Erzählung fand keine direkte Aussprache statt, jedoch wurde nochmals gesondert über das Projekt informiert und mit zeitintensiven, produktiven Sitzungen das Gegenüber überzeugt. Das Beispiel zeigt, dass es sinnvoll ist, nicht jeden Konflikt auf der Stelle auszutragen, sondern sich stattdessen Zeit zu nehmen, um Situation, Beteiligte und das Problem besser zu verstehen. Diese Einsicht darf natürlich nicht zu einer Rechtfertigung dafür werden, weitere Handlungsschritte zu lähmen. Vielmehr soll die Reflexion über den Konflikt und während des Konfliktes zu einer Handlungsstrategie führen. Sobald ein klarer Blick auf die Situation besteht, werden nächste, aktive Schritte und Handlungsstrategien möglich.

Erfolgsfaktor #4: Einbezug einer Drittperson

Oft stellt sich die Frage, wie, ob und wann es sinnvoll ist, eine Drittpartei – beispielsweise eine vorgesetzte Person – zur Lösung einer Konfliktsituation beizuziehen. In den Konfliktgeschichten kam diese Handlungsstrategie in drei Fällen zur Anwendung. Dabei lösten die Drittpersonen den Konflikt nicht direkt, nahmen jedoch eine wichtige Moderator:innenrolle ein oder schufen einen Handlungsspielraum in Form von Rückendeckung für die Beteiligten. Aus unserer Sicht ist es an dieser Stelle wichtig anzumerken, dass die Anwesenheit einer Person einer übergeordneten Hierarchiestufe aber auch ein Risiko für eine weitere Eskalation birgt. Ebenso ist es unserer Erfahrung nach besonders in klassisch-hierarchischen Organisationen oft kontraproduktiv, die vorgesetzte Person in Kopie zu nehmen, um ihr via E-Mail einen Konflikt zu beschreiben.

Ein schönes, konkretes Beispiel, in dem der Einbezug von Dritten Erfolg zeigte, betrifft eine andauernde Auseinandersetzung unter Jugendlichen. Bei einem Streit zwischen zwei 12-Jährigen war es eine Lehrerin, die optimale Rahmenbedingungen zur Klärung schaffte, indem sie es den beiden Streithähnen ermöglichte, die Problematik mit etwas älteren Kindern zu besprechen. Gemeinsam fanden die Jugendlichen eine Lösung und wo andere Versuche zuvor gescheitert waren, war das Einsetzen einer neutralen Vermittlung erfolgreich. Ehrlicherweise ist das bei Erwachsenen oftmals nicht viel anders und die Strategie daher eine gute Möglichkeit, um gemeinsam Lösungen zu finden.

Erfolgsfaktor #5: Selbstreflexion zum Konflikt

Abb. 5: Gruppierung der positiven Erfahrungen aus dem Konflikt. Die Zahl zeigt die Anzahl Nennungen an, Mehrfachnennungen waren möglich.

Alle Konfliktgeschichten haben gemeinsam, dass den Personen auf beiden Seiten des Konflikts teils das Verständnis für den Kern der Spannungen fehlte oder spät einsetzte. Andererseits zeigen die Erzählungen oft, wie wichtig ein geeigneter und sicherer Rahmen für ein klärendes Gespräch auf dem Weg zu einer erfolgreichen Konfliktlösung ist. So können wir zusammenfassen, dass das Angehen des Konfliktes und die Möglichkeit, diesen zu klären oder ansprechen zu können, als befreiend empfunden wird.

Abb. 6: Gruppierung der nachträglichen Wünsche zum Konflikt. Die Zahl zeigt die Anzahl Nennungen an, Mehrfachnennungen waren möglich.

Es scheint beinahe klischiert: Auf die Frage, was sie gerne anders gemacht hätten, lautet die Antwort der Befragten allzu oft «Nichts». Da wir jedoch nur eine Seite des Konfliktes kennen und die Befragten allenfalls einfach erleichtert sind, den Konflikt überwunden zu haben, ist diese Antwort kritisch zu betrachten. In einigen Fällen wird ein sehr konstruktiver Weg beschrieben, weshalb Erzählende rasch den Schluss daraus gezogen haben könnten, es hätte grundsätzlich nichts anders gemacht werden müssen. Das kann ein Hinweis dafür sein, dass es schwerfällt, sich nochmals zu hinterfragen, sich in die Konfliktsituation zurückzuversetzen und sämtliche Aspekte des Konfliktes zu beleuchten. Diese Erkenntnis deckt sich mit jener der Philosophen Roy Dings und Albert Newen, gemäss der Menschen in der Retrospektive oft ihre vergangenen Handlungen bestätigen und Erinnerungen in jedem Moment neu konstruieren. Es ist also schlicht nicht möglich, zu beurteilen, ob wirklich nichts hätte besser gemacht werden können.

In den weiteren Antworten wird auf die eine oder andere Art immer der Faktor Zeit genannt. Die Beteiligten bereuen, den Kern des Problems nicht früher erkannt oder früher gehandelt zu haben. Das hat möglicherweise damit zu tun, dass es sehr energieintensiv ist, einen Konflikt mit sich herumzutragen, während es befreiend ist, eine innere Spannung nach aussen zu tragen. So bleibt im Nachgang oft die Frage: «Warum habe ich die lösende Handlung nicht schon früher umgesetzt?» Das ist eine sehr gute Frage, denn: Was hindert dich heute daran, eine Spannung anzugehen?

Fazit: Eine Einladung zum Gestalten

Obwohl zu Konfliktmanagement viel geforscht und geschrieben wird, finden gemäss Recherchen der Entscheidungswissenschaftlerin Julia A. Minson und der Verhaltensforscherin Francesca Gino in den wenigsten Organisationen Schulungen und Coachings zum Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz statt. Dies, obwohl die Mitarbeitenden dabei unterstützen würden, Konflikte effektiver zu lösen und Meinungsverschiedenheiten mit mehr Vertrauen auszudiskutieren. Was Menschen dabei unterstützt, aus eigener Kraft zu einem positiven Umgang mit Konflikten gelangen, zeigen die von uns identifizierten gemeinsamen Nenner in unseren siebzehn Konfliktgeschichten. Ein lapidares Herunterbrechen auf «Die müssen eben miteinander reden» wird den unterschiedlichen Situationen und Lösungswegen jedoch nicht gerecht. Vielmehr definieren wir aus den Konfliktgeschichten die nachfolgenden Schlüssel zum Erfolg:

  • Bewusst Räume schaffen, in denen Spannungen eingebracht und konstruktiv angesprochen werden können.
  • Empathie üben, die Gefühle des Gegenübers sowie die eigenen zulassen und diesen ehrlich entgegentreten.
  • Drittpersonen können bei einem lösenden Gespräch unterstützen, wenn sie gut vorbereitet sind und alle Parteien gleichwertig behandeln.
  • Nicht abwarten, sondern aktiv ansprechen was stört, wo Verbesserungen gewünscht sind oder Fragen bestehen.

Uns persönlich und als Gruppe hat die gemeinsame Reise durch die untersuchten Konflikte auf unterschiedliche Weise berührt. Olivia erkennt ihre eigene Ermächtigung und damit ein grosses Potenzial darin, den ersten Schritt zu machen. Sie begrüsst die Möglichkeit, dadurch Energie freizusetzen und schätzt die positive Konfliktlösung als Möglichkeit, um Nähe zu schaffen. Der Raum, in dem eine solche Nähe und somit ein gemeinsames Weiterkommen möglich ist, steht für Simon im Zentrum seiner wertvollsten Erkenntnisse aus dem Prozess. Das Ausleuchten dieses Handlungsraums macht für ihn sichtbar, dass Konflikte Spannungen sind, die dann positiv aufgelöst werden können, wenn psychologische Sicherheit vorhanden ist und ein respektvolles Gespräch, auch ohne Einigung, ein gutes Resultat hervorbringt.

Genau dies beobachtet auch Sharon in den Erzählungen und schöpft daraus viel Mut, um in Zukunft vermehrt proaktiv und mit einer positiven Einstellung an Konfliktsituationen heranzutreten. Sie sieht darin auch ihre Aufgabe als Führungsperson, denn sie ist überzeugt, dass wir mit konstruktiven Absichten bei der Konfrontation auch die Einstellung des Gegenübers positiv mitgestalten können. Dem schliesst sich Christina insofern an, als ihr der Prozess verdeutlicht hat, wie sie als Führungsperson eine tragfähige Struktur schaffen kann, die eine kollaborative Lösungsfindung ermöglicht. Vor diesem Hintergrund sieht sie grosses Lernpotenzial in der Auseinandersetzung mit Konflikten und schätzt die Möglichkeit, daraus gemeinsam eine positive Lösung für alle Beteiligten zu finden.

Abb. 7: Persönliche Erkenntnisse der Autor:innen aus der Analyse positiv gelöster Konflikte.

Gemeinsame Kräfte für eine konstruktive Auflösung zu nutzen, gehört auch zu Mergimes Haupterkenntnissen. Unsere gemeinsame Reise hat ihr zudem bewusst gemacht, dass wir fast täglich in der einen oder anderen Art Konflikten begegnen und dass diese zum Alltag gehören. Inwiefern der Faktor Zeit hierbei eine wichtige Rolle einnimmt, hat Priska besonders eingeleuchtet: Zum einen gibt es für die erfolgreiche Konfliktbearbeitung keinen richtigen Zeitpunkt, zum anderen gilt es, sich ausreichend Zeit zu nehmen, um auf bewusste und positive Art Spannungen zu lösen. Wenn uns dies gelingt, werden Glücksgefühle und Energie freigesetzt und so der Weg geebnet für eine gemeinsame Zukunft als Team.

Es gibt für eine positive Konfliktlösung also nicht das eine Rezept, die eine Pille und auch nicht das eine Tool, das einfach übernommen werden kann. Aber es braucht dafür immer uns Menschen mit unserem Einfühlungsvermögen und dem ehrlichen Wunsch, eine Auseinandersetzung positiv zu nutzen. Und zwar an genau dem Ort zu genau der Zeit, in der wir aufeinandertreffen. Es braucht uns, hier und jetzt.


Quellen

Dings, R., Newen, A. (2021, 13. August). Constructing the Past: The Relevance of the Narrative Self in Modulating Episodic Memory. In Review of Philosophy and Psychology. https://link.springer.com/article/10.1007/s13164-021-00581-2

Edmondson, A. C. (2022). A Guide to Psychological Safety. Learner Lab. https://thelearnerlab.com/a-guide-to-psychological-safety/

Gewaltfreie Kommunikation (2022, 22. April). In Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltfreie_Kommunikation

Goetzke, L., Wiens, M. (2019, August). Organisationen, die sich fetzen. In Neue Narrative, Nr. 06. NN Publishing GmbH.

Klein, S., Hughes, B. (2019). Der Loop Approach. Wie Du Deine Organisation von innen heraus transformierst. Campus Verlag.

Minson, J. A., Gino, F. (2022/03 und 04). Managing a Polarized Workforce. How to foster debate and promote trust. In Harvard Business Review. https://hbr.org/2022/03/managing-a-polarized-workforce

Sprenger, R. K. (2020). Magie des Konflikts. Warum ihn jeder braucht und wie er uns weiterbringt. Deutsche Verlags-Anstalt.