Design-Leadership ist eine einfache Disziplin. Sie braucht Disziplin.
Ein sonntäglicher Blick darauf.
Danica Zeier, stv. Studienleiterin MAS Strategic Design und Programmverantwortung CAS Design Leadership
Kürzlich, beim Sonntags-Zmorge, fällt unser Blick auf das Buch «alphabet akrobaten» mit dem Untertitel «absolut anspruchsvolle & aussergewöhnlich alliterationsreiche alphabetabenteuer». Ein Buch, das alle Grundlagen enthält, das A bis Z oder auch ein Einmaleins. Das geistreiche und explizit Einfache – Alphabet – und das IMPLIZIT Mitschwingende – die Akrobaten – ziehen mich in den Bann.
Unser Blick, das sind mein achtjähriger Sohn und ich. Er beginnt zu blättern, von hinten nach vorne, versteht sich von selbst, und bleibt bei «Z» hängen: «Zoe, die zauuu-bär-hafte … Zoooombie…dame, zählt in Zürich (!) ziiiiemlich zu-friiiiedän Zitrone ässend zi… hä? Ziviiiii…» Beim neunten «Z» gibt der Zweitklässler auf, «zivile Zeppelins» – das geht ihm zu weit.
Er guckt mich an, leicht verzweifelt, verdreht die Augen und schaut etwas vorwurfsvoll drein; muss das sein, am Sonntagmorgen, am schulfreien Tag? Ich versuche zuerst «zivile Zeppelins» zu erklären – erfolglos – und dann händeringend den Bogen zu schlagen, warum es interessant sein könnte, sich mit dem Alphabet EXPLIZIT und zugegebenermassen auf nur für Erwachsene nachvollziehbar «witzige» Weise auseinanderzusetzen. Ich scheitere, selbstredend, kläglich …
Mein Achtjähriger befreit mich aus meiner Ratlosigkeit und meint strahlend: «Ich habe eine Idee, wir könnten ein Würfelspiel machen, wir würfeln mit vier Würfeln eine Zahl, und diese Nummer des Alphabets lesen wir dann vor.» Recht hat er, Spass muss sein. Im Jargon des Strategic Design würden wir sagen: «Erleben vor Lernen». Kür vor Pflicht, für die ewig Gestrigen, so geht es auch.
Wir beginnen mit Würfeln und trainieren das Kopfrechnen – das mütterliche bildungsbürgerliche Gewissen stösst ein unhörbares Jubeln aus und das am Sonntagmorgen! Und dann kommt’s: Welcher Buchstabe steht an der 17. Stelle des Alphabets? Mein Achtjähriger schaut mich erwartungsvoll und herausfordernd an, jetzt sei ich dran. Ich schlage das «Durchalphabetisieren mit Fingern» vor, doch mein Achtjähriger schüttelt entschieden den Kopf. Ich überlege kurz und sage: «Lass’ uns doch die Buchstaben aufschreiben und darunter die Zahlen setzen, sodass wir auf EINEN Blick sehen, welcher Buchstabe an 17. Stelle sein könnte.»
Den Kopf leicht zur Seite geneigt, tief über das Blatt gebeugt schreibt der Zweitklässler in krakeliger Schrift – zugegeben, meine Vorstellung von gut leserlich ist nicht Zweite-Klasse-konform – das Alphabet. Ich souffliere, wenn er beim Schreiben stockt. Und da stehen sie, manchmal in Gross- und manchmal in Kleinbuchstaben, unentschieden, wacklig. Stolz sieht er die Parade an und ich ermuntere ihn, gleich die entsprechenden Zahlen unter den Buchstaben anzuordnen. Hier beginnt das Dilemma: Die Zahlen haben keinen Platz unter den Buchstaben, ist ja wohl klar. Wie soll man nach neun einstelligen Ziffern plötzlich zweistellige Ziffern unter die Buchstabenparade setzen können, und das auch noch UNTEREINANDER, sodass das Ziel der Übung noch erkennbar ist? Welche Zahl entspricht welchem Buchstaben? Mein Zweitklässler löst es pragmatisch: Er schreibt stoisch seine Zahlenreihe fort und setzt Pfeile zu den Buchstaben … Die Pfeile werden immer länger und zahlreicher. Das anvisierte Ziel versinkt hinter ihnen.
Soweit so gut. Auf mein Drängen hin schreiben wir die Paraden neu, zwei, drei, vier … beim fünften Mal protestiert er. Ich auch. Die Pfeile werden kleiner, aber verbessern die Lesbarkeit immer noch nicht. Was das solle, «der Scheiss». «Sorgfältigkeit», höre ich mich sagen, «braucht man überall und immer im Leben.» Und das Durchbeissen auch, bis «etwas Einfaches so ist, wie man es sich vorstellt». Und dass alle Kunstwerke – auch diejenigen am Trapez – mit basalen Grundlagen, dem Einmaleins oder dem Alphabet beginnen. Und dass Durchhaltevermögen manchmal dazu gehört, «auch zu einem schönen Spiel». Gerade in unserer schnelllebigen Welt, höre ich meine innere Stimme ergänzen, wo alles in Realtime und computerunterstützt möglich ist. Wer braucht noch Orthografie, wenn Word die Autokorrektur anbietet? Bei meinem Achtjährigen übernimmt der Frust, er katapultiert sich in seine Protestkapsel – Arme verschränkt, mit diktatorischem Tonfall – und stösst zum Gegenangriff vor. Was das solle, «dieser Scheiss», dass ich «überhaupt keine Ahnung» hätte, denn das Alphabet hätten sie so «NIE» in der Schule gelernt, dass er «keinen Strich mehr» mache und dass er eigentlich nur spielen wolle. Erste Tränen kullern über sein immer noch kindliches Antlitz …; ich spüre, wie sich mein Herz zusammenzieht. War es das wert? Ich bin wieder gefordert.
Plötzlich dreht das Kind den Spiess um, guckt mich an, mit schrägem Kopf, setzt seine Nun-will-ich-etwas-von-dir-Stimme auf und bittet säuselnd, aber entschieden darum, dass ich die Buchstabenparaden schreibe. Damit wir etwas Zeit sparen und bald spielen können, schliesst er das Verkaufsargument ab. Etwas irritiert übernehme ich den Stift, mühe mich ebenso ab, die Buchstaben S-O-S-C-H-Ö-N-I-N-D-E-R-R-E-I-H-E zu schreiben wie er und höre mich sagen, dass es ganz wichtig sei, sich «es bitzeli Mühe» zu geben, auch wenn es «nicht perfekt ausschaut». Und so oder so, dass ich – komme, was komme – an ihn glaube. Aber, dass man «einfach dranbleiben» müsse, auch wenn … Sie wissen schon ….
Einige Stunden später denke ich, dass Leadership als Thema und in der konkreten praktischen Umsetzung, wie wir es im CAS Design Leadership an der ZHdK verstehen, IMMER bei sich selbst beginnt. Kenne dich selbst, das lehrten bereits die Griechen. Eigene Emotionen zu verstehen, diese einzuordnen und so zu artikulieren, dass sie eine gewünschte Aktion auslösen, entspricht dem grossen Einmaleins, ist grosses Kino. Selten ist das ein Kinderspiel, auch wenn die Grundlagen bereits in der Kinderstube erfahrbar werden. Die Kür ist oft mit hartem Training verbunden und der Pfad führt nicht selten von der Kinderstube über das Grossraumbüro in das C-Level-Eckbüro hin zum unpersönlichen Arbeitsplatz im Co-Working-Space oder an den Küchentisch im Homeoffice. Hierbei sind Pflichtprogramme immer anstrengend, auch wenn das unbeschreibliche Gefühl des Fliegens, des Schwingens, hoch über den Köpfen der Zuschauer, das Gefühl der Schwerelosigkeit, des Flows in einer abgesteckten Arena, gewiss ist.
Design-Leadership ist eine einfache Disziplin. Sie braucht Disziplin. Selbstdisziplin. Selbstkenntnisse. Menschenkenntnisse. Liebe zu Mitmenschen. Freude am Spiel. Mut zum Ausprobieren. Durchhaltewillen. Und den Glauben an sich selbst und das Gegenüber. Um über sich hinauszuwachsen. Growth mindset, heisst es an vielen Stellen.
Also, liebe Design-Leaders. Es gibt keine Anleitungen für die Disziplin Design-Leadership. Jede ist ihre eigene Akrobatin, jeder sein eigener Akrobat. Und gewiss, die journey ist absolut anspruchsvoll, ästhetisch und aussergewöhnlich. Agiles Abenteuer. Auch ohne Alliteration.
Design-Leaders: Gestaltet. Führt. Wagt. Mit und für euch. Mit euren Teams. Für eure Teams. Und für euch selbst.
Das Trapez ruft.
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Leadership Essenzen praktisch: TOOLBOX
Leadership braucht nicht nur kritische Reflexion, sondern Praktisches.
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- Sound of Generations
- Demotivatoren im Arbeits-Universum
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