Leadership Essays 2019

Editorial – Leadership in turbulenten Zeiten

Stefano Vannotti, Studienleitung MAS Strategic Design und CAS Design Leadership

Die Dynamik und der Wandel unseres Lebens scheint seit dem vergangenen Jahr und der ersten Durchführung des CAS Design Leadership nochmals an Tempo zugelegt zu haben. Hierbei wirkt es, als potenziere sich die Komplexität in unterschiedlichen Dimensionen. Man ziehe das Beispiel des Klimawandels heran: Zwar vermag eine schwedische, unscheinbare 15-jährige Klimaaktivistin mit ihren Aktionen Massen zu mobilisieren und die Dringlichkeit einer konsequenten Klimapolitik greifbarer zu machen als alle Bewegungen zuvor. Und drücken wir nicht doch spätestens im Flugzeug Richtung Sommerferien ein Auge zu betreffend unserer ganz privaten Ökobilanz? Auch geopolitische Verschiebungen mit China als treibender Kraft schütteln gerade das europäische Werte- und Demokratieverständnis durch. Doch woher kommen eigentlich die neusten Innovationen?

Diese Beispiele versinnbildlichen die immensen Herausforderungen und grossen Widersprüche, die mit einem Leben in einer globalisierten Welt einhergehen. Einerseits ist es in diesen turbulenten Zeiten möglich und auch nötig, gesellschaftliche, politische oder ökologische Veränderungen anzupacken, andererseits sind wir mit der permanenten Resignation und Frustration konfrontiert, an diesen Aufgaben auf Grund ihrer schieren Grösse und Komplexität zu scheitern. Ist vielleicht gerade dieses Gefühl in einem Dilemma zu stecken, die grösste Herausforderung dieser Tage? Und aus der Perspektive einer Kunsthochschule können wir die Beobachtung teilen, dass es mit kurzfristiger Aufbruchstimmung und Euphorie in Form unternehmenseigener Innovationslab nicht getan ist, sondern die Sehnsucht nach längerfristiger Orientierung und Halt dominiert. Gefragt sind Leader, die unaufgeregt und mit viel situativem Fingerspitzengefühl durch diese liquiden Zustände navigieren.

Weder die Digitalisierung noch die fortschreitende Technologisierung werden diese Orientierungslosigkeit relativieren können. Gefragt sind im 21. Jahrhundert ganz andere, für manche überraschende Kompetenzen: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken [1]. Fähigkeiten, die durchaus in den Kontext einer Kunst- und Designhochschule wie die ZHdK passen. Gleichzeitig zählen die aufgeführten Kompetenzen, schenkt man Studien Glauben, nicht gerade zu den typischen Stärken der Schweizerinnen und Schweizer [2]. Für die oben genannten Anforderungen und Missstände scheint die Verbindung aus Design und Leadership eine durchaus interessante Konstellation zu bieten. Hierbei ist die «Creative Confidence» ein interessanter Startpunkt [3] : Die Stärkung des vorhandenen Kreativpotenzials in jedem von uns sowie die Stärkung der Überzeugung, dass jeder durch gutes Leadership aktiv seinen Beitrag für mehr Orientierung in dieser hochdynamischen Welt leisten kann. Denn, wie Gottlieb Guntern Mitte der 1990er-Jahre bereits so treffend formuliert hat [4]:

«Leadership bedeutet Führungskunst, und die ist ohne Enthusiasmus, authentische Persönlichkeit, Imagination und Zivilcourage nicht zu haben. Nur eine echte Leadership kann im Betrieb für die Bedingungen sorgen, die das kreative Potential aller MitarbeiterInnen entwickeln helfen.»

Die Führungskunst besteht in turbulenten Zeiten vor allem darin, persönlich mit gutem Beispiel voranzugehen und Umgebungen zu schaffen, in welchen man selbst und andere motiviert und bestärkt werden, selbstbestimmt voranzuschreiten. Viele dieser Aspekte sind von Führungspersonen nur sehr indirekt zu gestalten und als Mitwirkung zu verstehen – und dennoch Schlüssel zur Veränderung. Beruhigend kann es hierbei sein, sich im Zuge von Transformationsprozessen nicht von Grösse und Trägheit einer Gesamtorganisation abschrecken zu lassen. So macht ein Artikel in der Harvard Business Review Mut, als Leader im eigenen Team mit der Transformation zu beginnen. [5]  Es ist insbesondere ein funktionierendes Teamgefüge, dass die Mitarbeitenden ihre – teilweise sogar unbeliebten Tätigkeiten – mit Zufriedeneinheit und hohem Engagement erledigen lässt. Kurz: Die Studie kommt zum Schluss, dass eine umsichtige und motivierende Führungspersönlichkeit diese Konditionen massiv verbessern kann. Oder um erneut Gottlieb Guntern zu zitieren:

«Unter Berücksichtigung aller möglichen Gefahren nüchtern und mit Mut vorwärts zu gehen und jene Menschen, für die man Verantwortung trägt, zu innovativen Leistungen anzuspornen, das ist Leadership.»

Der CAS Design Leadership als wichtiger Bestandteil des Weiterbildungsstudiengangs MAS Strategic Design setzt genau an diesen Punkten an: Mut und Verantwortung. Im Kern steht die Ausrichtung des eigenen Leadership-Kompasses und weiterer Aspekte des Self-Leadership. Ergänzend erhalten die Teilnehmenden praxisnahe Einblicke in moderne Arbeitswelten und Organisationsformen. Sie lernen dabei, die geeigneten Voraussetzungen und Konditionen zu kreieren sowie die gewünschten Veränderungsvorhaben erfolgreich zu orchestrieren. Viele Ebenen spielen dabei eine Rolle und lassen sich, orientiert an Simon Sineks Golden Circle [6] , in nachfolgenden Punkten zusammenfassen. Erstens geht es um eine permanente Auseinandersetzung mit dem «Warum». Zweitens: Fundierte Methodenkenntnisse und das Verständnis für die Expertise anderer bestimmen das «Wie». Und drittens, abgeleitet von den ersten beiden, lassen sich Massnahmen in spezifische Lösungen, dem «Was», überführen. Das Bewusstsein und das konstante Reflektieren des mehrschichtigen Zusammenspiels von «Warum-Wie-Was» ist ein Hauptmechanismus des modernen Leaders.

In ihren Beiträgen setzen sich die Absolvierenden und Dozierenden des diesjährigen CAS Design Leadership mit ausgewählten Aspekten dieser Ebenen, Settings und Vorgehensweisen auseinander. In ihrem einleitenden Essay rekapituliert Danica Zeier, stellvertretende Studienleiterin des MAS Strategic Design und Programmverantwortliche des CAS Design Leadership, unter dem Titel «Designing? Leadership?» wie der gemeinsame Weg in insgesamt sieben Unterrichtsmodulen begangen wurde. In den fünf Gruppenbeiträgen der Absolvierenden werden zentrale Themen des modernen Leadership vertieft: Empowerment, Werte, Teamdynamik, Purpose und Diversität. Die Artikel der Gastdozierenden runden dieses Gesamtbild mit ganz konkreten Empfehlungen zu Holacracy (Benoît Pointet, Holacracy Coach, Liip), Business Ecosystems (Manuel Küffer, Head of Digital, Somedia) und zur individuellen Profilbildung (Pascal Geissbühler, Gründer und Inhaber, Biographis) ab.

Auch mit den diesjährigen Leadership-Essays wird es selbstverständlich nicht gelingen, die gegenwärtige Dynamik unserer Welt in irgendeiner Weise zu beeinflussen oder gar die beschriebenen Turbulenzen abzuschwächen. Mit dem nötigen Mut und Selbstvertrauen hilft jedoch ausgewogenes und weitsichtiges Leadership, die Fokussierung auf die wirklich relevanten Themen weiter zu stärken. Die Absolvierenden des CAS Design Leadership haben im Verlauf der vergangenen Monate intensiv an dieser neuen Haltung gearbeitet. Sie haben die hierfür notwendige Power und Resilienz entwickelt, Veränderung erfolgreich anzupacken und dabei Kontroversen auszuhalten. Oft sind es gerade die sehr einfachen Prinzipien, welche besonderen Mut verlangen, in komplexen Situationen angewendet zu werden. Sie werden nicht abschliessende Antworten auf die grossen Themen wie Klimawandel, soziales Business und geopolitische Veränderung liefern. Die Leadership-Ansätze helfen jedoch, die mögliche Paralysierung zu durchbrechen und unkoordinierten Aktionismus strategischer zu steuern. Ziel ist es, alle Herausforderungen wohlüberlegt anzupacken und dabei insbesondere anderen – dank ausgewogenen Leadership-Qualitäten – die erwünschte Orientierung zu geben und konkrete Möglichkeitsräume aufzuzeigen. Ein motivierendes Leadership, dass nun von 26 neuen Absolvierenden in ihren jeweiligen Kontexten aktiv praktiziert wird und hoffentlich weitere Verbreitung findet.


Referenzen

[1] Vgl. Wikipedia: 4K-Modell des Lernens. Abgerufen am 27.6.2019.

[2] Vgl. Eggenberger, Jürg (2019): Welche Führungsqualitäten braucht es in der Zukunft? Website der Schweizer Kader Organisation SKO.

[3] Kelley, D., & Kelley, T. (2014): Creative Confidence: Unleashing the Creative Potential Within Us All. HarperCollins, London.

[4] Guntern, G. (1999). Sieben goldene Regeln der Kreativitätsförderung (1 ed.). Scalo Zürich.

[5] Buckingham, M. & Goodall, A. (2019): The Power of Hidden Teams. In: Harvard Business Review.

[6] Sinek, Simon (2009): How Great Leaders Inspire Action. TEDxPuget Sound.