Leadership Essays 2018

Die digitale Transformation erfordert neue Kompetenzen bei Führungskräften und Mitarbeitenden

Dr. phil. Sandra Hutterli, Leiterin Bildung SBB

Im Zentrum der digitalen Transformation stehen nicht primär technologische Innovationen, sondern die Fähigkeit der Führungskräfte und Mitarbeitenden, sich die erforderlichen Schlüsselkompetenzen anzueignen. Um diese frühzeitig zu erkennen, ist die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen ausschlaggebend:

  • The Reason Why: Welche Schlüsselkompetenzen sind zur Umsetzung der Business-Strategie in meinem Tätigkeitsbereich erforderlich?
  • Digitale Transformation: Welche Veränderungen in meinem Bereich erfordern welche neuen Kompetenzen?
  • Innovationskraft: Mit welchen Kompetenzen kann ich in meinem Bereich zur Zukunftsfähigkeit des Unternehmens beitragen?
  • Führungs- und Leistungskultur: In welcher Situation ist welcher Ansatz zielführend und wie kann durch vermehrten Handlungsspielraum ein energetisierendes Arbeitsumfeld geschaffen werden?
  • Schlüsselkompetenzen: Wie können die künftig erforderlichen Schlüsselkompetenzen im Betrieb rechtzeitig sichergestellt werden?

Die digitale Transformation beschäftigt Unternehmen mehr denn je. Neue Technologien erfordern nebst zukunftsgerichteten Business-Modellen und organisationalen Anpassungen auch die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen bei Mitarbeitenden und Führungskräften. Kultur, Führung und die Entwicklung von Kompetenzen gehören zu den Erfolgsfaktoren der digitalen Transformation – gar erfolgversprechender als die Einführung neuer Technologien (1). Am Beispiel der Schweizerischen Bundesbahnen SBB wird im Folgenden aufgezeigt, was die digitale Transformation und die einhergehende Kompetenzentwicklung für ein Unternehmen konkret bedeuten.

The reason why – die Sinnhaftigkeit erkennen

Zu Beginn steht the reason why. Zu welchem Kundenutzen werden Technologien eingeführt und wie wird damit ein Mehrwert für das Unternehmen geschaffen? Die Antwort darauf findet sich idealerweise in der Business-Strategie.

Die SBB schafft mit ihrer Strategie 2020 einen Mehrwert für die Kunden und erhöht dabei die Effizienz. Neue Technologien werden genutzt, um weiterhin eine starke Bahn zu bleiben und gleichzeitig ein vertrauenswürdiger Mobilitätsanbieter mit neuen Angeboten für Reisen von Tür zu Tür zu werden. Innovationsprojekte im Personenverkehr, bei Immobilien, im Güterverkehr und bei der Infrastruktur unterstützen die Kunden entlang der Mobilitätskette – digital wie auch persönlich. Bahnhöfe mit angrenzenden Arealen werden beispielsweise zu attraktiven Mobilitätsdrehscheiben und vielseitigen Dienstleistungszentren ausgebaut. Dank der Digitalisierung wird die Kapazität des Schweizer Bahnnetzes – das meist genutzte Schienennetz der Welt – um weitere 30 Prozent gesteigert. Die SBB bildet damit als treibende Kraft das Rückgrat im öffentlichen Verkehr der Schweiz. Gleichzeitig setzt sie sich dafür ein, den Anstieg der Gesamtsystemkosten zu reduzieren, damit der öffentliche Verkehr für die Kunden bezahlbar bleibt.

Die Stossrichtungen einer Geschäftsstrategie müssen sowohl den Führungskräften als auch den Mitarbeitenden klar sein. Es ist Aufgabe der Führungskraft, den Mitarbeitenden die Sinnhaftigkeit der Strategie transparent zu machen und gleichzeitig aufzuzeigen, welchen Beitrag jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin zur Umsetzung der Strategie leistet. Entscheide sind in allen Unternehmensbereichen – vom Bürolisten bis zum Lokführer – ausgerichtet auf die Strategie zu kommunizieren. Dies erfordert zunehmend unternehmerisches Denken und Handeln jedes einzelnen.

Digitale Transformation – den Veränderungen gegenüber offen sein

Die Verwendung von digitalen Technologien kann zu erheblichen Veränderungen im Unternehmen und in der Branche führen. Ist dies der Fall, wird von digitaler Transformation gesprochen (2). Dabei gilt es zu verstehen, inwiefern die Leistungserstellung, das Angebot und die Kundeninteraktion davon betroffen sind. Die Erstellung von Produkten und Dienstleistungen mithilfe neuer Technologien ist dann erfolgreich, wenn die Prozesse, die Organisation und das Management darauf ausgerichtet sind. Erst unter diesen Voraussetzungen können Dienstleistungen oder Produkte verbessert und die Kundeninteraktion positiv beeinflusst werden.

Die SBB nutzt die Digitalisierung beispielsweise für einen vorausschauenden und kostensparenden Unterhalt des Schienennetzes. Dank der digitalen Zustandsanalyse und Unterhaltsplanung werden die Anzahl Störungen reduziert und die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit für die Kunden erhöht. Im Bereich des Gütertransports werden die Wagen mit verschiedenen Sensoren ausgerüstet, um die Temperatur, Erschütterung und Position des Wagens zu ermitteln. Dies entspricht einem Bedürfnis der Transportkunden: Sie wollen wissen, in welchem Zustand ihre Ware ist, wo sie sich befindet und ob sie pünktlich ankommt. Eine optimale Nutzung der Digitalisierung erfordert das Zusammenspiel verschiedener Geschäftsbereiche, gezielte Kooperationen mit Partnerfirmen und somit eine Verabschiedung des Silodenkens.

Schlüsselkompetenzen für Führungskräfte und Mitarbeitende sind die Bereitschaft, Veränderungen anzugehen, und die interdisziplinäre Zusammenarbeit. Hierarchien werden flacher und Projektarbeiten gewinnen an Bedeutung. Dabei arbeiten Mitarbeitende und Führungskräfte aus verschiedenen Geschäftsbereichen und von extern aufgrund ihrer Kompetenzen in temporären Teams zusammen.

Innovationskraft – aktiv zum Erfolg beitragen

Die digitale Transformation erfolgt nicht automatisch und es gibt dafür auch keine Standardlösung. Folgende Schlüsselfragen stellen sich: Wie gross sind die Experimentierfähigkeit und die Bereitschaft zu lernen in einem Unternehmen und inwiefern lassen die Rahmenbedingungen Innovationen zu?

2017 setzte das US-amerikanische Magazin Fast Company die SBB als eines der weltweit innovativsten Unternehmen in der Kategorie Transport auf Rang 6 – vor Unternehmen wie United Airlines oder Tesla (3). Um die Innovationskraft zu erhöhen, hat die SBB ein konzernübergreifendes Innovationsmanagement initiiert. Aus Innovationen sollen möglichst schnell konkrete Angebote werden. Dabei wird vermehrt mit Kunden und Partnern zusammengearbeitet. Die SBB spricht zum Beispiel per Youtube explizit Start-ups für die Zusammenarbeit im digitalen Bereich an (4). Dies ermöglicht einerseits ein schnelleres Vorgehen bei Entwicklungen und andererseits das Experimentieren bei gleichzeitiger Einhaltung der hohen Sicherheitsstandards der SBB. Um die Servicequalität in Bahnhöfen zu optimieren, kooperiert die SBB mit Technologieunternehmen und Partnern wie Google oder der ETH Zürich. Eine zentrale Rahmenbedingung bei der SBB ist die Ausstattung sämtlicher Mitarbeitenden mit einem digitalen Endgerät. Dies ermöglicht eine ortsunabhängige Kommunikation der Mitarbeitenden, agile Zusammenarbeitsformen und die Dokumentation von Arbeitsprozessen.

Innovation bedeutet nicht, sämtliche Prozesse und Technologien neu auszurichten. Vielmehr führt sie unweigerlich zu einem Zusammenspiel verschiedener Technologie-Generationen und komplementären Anforderungen wie Sicherheit und Experimentierfähigkeit. Führungskräfte und Mitarbeitende tragen dann aktiv zum Erfolg eines Unternehmens bei, wenn sie mit diesen unterschiedlichen Gegebenheiten aktiv umgehen und bedarfsorientiert handeln können.

Führungs- und Leistungskultur – Handlungsspielraum geben

In erfolgreiche Unternehmen ist die Führungs- und Leistungskultur auf die Umsetzung der digitalen Strategie und die damit verbundene Transformation ausgerichtet. Unternehmen, die gescheitert sind, haben neue Technologien eingeführt, jedoch nicht genug in die kulturellen Veränderungen investiert (5). Kernfragen einer Führungsperson sind deshalb: In welchen Situationen ist transaktionale Führung weiterhin erforderlich, wo ist transformationale Führung mit Handlungsspielraum sinnvoll und wo bieten sich agile Zusammenarbeitsformen an?

Eine der sechs Stossrichtungen der Strategie SBB 2020 lautet «Leistungen von jedem Einzelnen fördern, fordern und anerkennen» (6). Im Fokus steht die Stärkung der Führungs- und Leistungskultur mit Handlungsspielraum. Im Sinne der transformationalen Führung werden auf allen Ebenen mehr Verantwortung und Vertrauen gegeben und entsprechend ambitionierte Ziele gesetzt, die es mit konsequenter Leistung zu erreichen gilt. Ein konstruktiv-kritischer Dialog soll dazu beitragen, dass Entscheidungen mutiger gefällt werden. Mit agilen Arbeitsformen soll das Experimentieren und Lernen aus Fehlern ermöglicht werden. Gleichzeitig wird in Bereichen, die absolute Zuverlässigkeit und Sicherheit erfordern, weiterhin auf transaktionale Führungsansätze gesetzt. Ziel ist es, durch den geeigneten Mix an Führungsrepertoires und Zusammenarbeitsformen bei Führungskräften wie auch Mitarbeitenden positive Energien freizusetzen, ein gesundes Arbeitsfeld zu schaffen und die Freude an der Arbeit zu fördern.

Kernkompetenzen einer Führungskraft in der digitalen Transformation sind, nebst der gezielten Kommunikation mittels unterschiedlicher digitaler Medien, Teamfähigkeit und vernetztes Führen sowie Fördern eines eigenverantwortlicheren Entscheidungsverhaltens (7).

Schlüsselkompetenzen – sich laufend weiterbilden

Mit der digitalen Transformation beschleunigen sich Veränderungen von Berufsfeldern. 60 % der heutigen Primarschüler werden einen Beruf erlernen, den es heute so noch nicht gibt. Die Transformation erfordert in der Breite digitale Kompetenzen.8 Es wird davon ausgegangen, dass bis 2030 in den neu geschaffenen Stellen Kreativität und soziale Intelligenz zentrale Kompetenzen sein werden. Berufe mit Routinetätigkeiten werden mehrheitlich automatisiert.9 Bereits heute zeichnet sich ab, dass erfolgreiche Unternehmen fünfmal mehr in die Kompetenzentwicklung ihrer Mitarbeitenden investieren als nicht erfolgreiche.10 Für Führungskräfte wie Mitarbeitende stellt sich die Frage, wie die erforderlichen Kompetenzen rechtzeitig sichergestellt werden können.

Um die Mitarbeitenden und Führungskräfte für die digitale Transformation und die zukünftige Mobilität vorzubereiten und zu qualifizieren, hat die SBB das Programm fit4future mit rund 15 verschiedenen Projekten lanciert. Dabei werden die für die SBB relevanten Berufsfelder analysiert, künftige Schlüsselkompetenzen abgeleitet und mit Massnahmen hinterlegt. Zentral ist dabei die transparente Kommunikation der Veränderungen und der Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Beides bietet die Möglichkeit, Ängste und Lösungsansätze bezüglich der Veränderungen frühzeitig zu thematisieren. Grössere Transformationsprojekte werden mit Lernsprints begleitet, um das organisationale Lernen und die Veränderungsbereitschaft der Führungskräfte und Mitarbeitenden zu fördern. Verschiedene neue Lernsettings ermöglichen ein bedarfsgerechtes Lernen in zeitlich kurzen Einheiten on demand und on the job. Dabei gewinnt auch das Lernen in Netzwerken an Bedeutung. Die allgemeinen digitalen Kompetenzen werden bei allen Führungskräften und Mitarbeitenden gefördert, wobei bewusst ein eigenverantwortlicher Ansatz gewählt wird: Mittels eines «DigiChecks» kann jeder sein Ist-Soll-Profil eruieren und darauf basierend verschiedene niederschwellige Lernangebote nutzen.

Die digitale Transformation ist dann erfolgreich, wenn Führungskräfte und Mitarbeitende sich bedarfsgerecht laufend weiterbilden. Die erforderlichen Kompetenzen sollen möglichst in flexiblen Lernsettings entwickelt werden. Insbesondere bei neuen Technologien kann es durchaus sein, dass die Mitarbeitenden Experten sind und die Führungskraft lediglich ein Verständnis dafür entwickelt. Zentral ist es jedoch, dass die Führungskraft Freiräume für das Lernen schafft.

Quellen

1 – Kane, G. C., Palmer, D., Phillips, A. N., Kiron, D., & Buckley, N. (2015). Strategy, not technology, drives digital transformation. Becoming a digitally mature enterprise. Deloitte: Online Artikel. https://www2.deloitte.com/insights/us/en/topics/digital-transformation/digital-transformation-strategy-digitally-mature.html?id=us:2sm:3ab:dup1213:eng:dup:072215 (18.06.2018).

2 – Pousttchi, Key. Digitale Transformation. In: Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik. Online Lexikon. http://www.enzyklopaedie-der-wirtschaftsinformatik.de/lexikon/technologien-methoden/Informatik–Grundlagen/digitalisierung/digitale-transformation (18.06.2018).

3 – Fast Company, 24.2.2017, p.3. Online Magazine. http://velodynelidar.com/docs/news/The%20guide%20to%20the%20businesses%20that%20matter%20the%20most%20in%20Transportation.pdf (18.06.2018).

4 – SBB Startup Program. Youtube. https://www.youtube.com/watch?v=38j3CAYwxWs (18.06.2018).

5 – Kane, G. C., Palmer, D., Phillips, A. N., Kiron, D., & Buckley, N. (2014). Moving Beyond Marketing: Generating Social Business Value Across the Enterprise. Deloitte: Online Artikel. http://sloanreview.mit.edu (18.6.2018).

6 – SBB: Vision und Strategie der SBB. https://company.sbb.ch/de/ueber-die-sbb/profil/strategie.html (18.06.2018).

7 – Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (Hrsg., 2016). Führen im digitalen Zeitalter – Relevante Kompetenzen und Anforderungen an Führungskräfte. p. 6-11. https://www.ikf.ch/images/stories/texte/Liebermeister_Digitales-Fhren_Meta-Studie_2016_Kurzfassung.pdf

8 – Acatech (2017). Innovationsindikator 2017. Schwerpunkt digitale Transformation. p. 54. http://www.innovationsindikator.de/fileadmin/2017/PDF/Innovationsindikator_2017.pdf (18.6.2018).

9 – Deloitte (Hrsg., 2017). Welche Schlüsselkompetenzen braucht es im digitalen Zeitalter? Auswirkungen der Automatisierung auf die Mitarbeiter, die Unternehmen und das Bildungssystem. p. 2. https://www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/ch/Documents/innovation/ch-de-innovation-automation-competencies.pdf (18.06.2018).

10 – Kane, G. C., Palmer, D., Phillips, A. N., Kiron, D., & Buckley, N. (2015). Strategy, not technology, drives digital transformation. Becoming a digitally mature enterprise. Deloitte: Online Artikel. https://www2.deloitte.com/insights/us/en/topics/digital-transformation/digital-transformation-strategy-digitally-mature.html?id=us:2sm:3ab:dup1213:eng:dup:072215 (18.06.2018).