Situative Führung – Leadership-Canvas
Manuel Hachem, Oliver Huber, Elisabeth Marini
Die Theorie der situativen Führung von Hersey und Blanchard (1969), Mitarbeiter ausschliesslich nach Aufgabenstellung und Reifegrad zu führen, ist überholt. Mehrdimensionale und integrative Führungsansätze wie das New-Leadership-Modell erfüllen die Anforderungen an ein modernes, menschenzentriertes Führungsverständnis besser. Allerdings hilft New Leadership in der täglichen Ad-hoc-Führung nur bedingt, da oftmals intuitives Handeln und Entscheiden gefragt ist. Zentrale Erfolgsfaktoren in solchen Situationen sind mentale Fitness, Fachkompetenz und Empathie. Das von uns entwickelte Leadership-Canvas unterstützt Führungskräfte in der Vorbereitung und Reflexion von situativen Führungsaufgaben.
Einleitung
Intuition eats structure for breakfast – kann uns ein strukturiertes Modell zu besseren Leadern machen oder handeln wir im hektischen Führungsalltag nach unserem Bauchgefühl besser? Dieser Hypothese sind wir in drei individuellen Experimenten nachgegangen und haben daraus das Leadership-Canvas entwickelt, um situativ hervorragend zu führen. Wir wünschen Ihnen viel Spass beim Lesen und Erleben des Leadership-Canvas.
Leadership-Canvas
In allen drei case studies, die dem Leadership-Canvas zugrunde liegen, hat sich herausgestellt, dass in der konkreten Führungssituation eine strukturierte Analyse und Anwendung von Handlungsempfehlungen anhand der Modelle Situative Führung (Hersey und Blanchard) oder New Leadership (Corinna von Au) nicht möglich war.
Wir haben jeweils, aus unserer Erfahrung heraus und intuitiv, entsprechend den Erfordernissen der Situation agiert anstatt Modellen zu folgen. Wie können wir aus diesen Situationen Erkenntnisse mitnehmen und uns verbessern? Um situativ gut zu führen, empfehlen wir, sich auf bevorstehende Führungssituationen gut vorzubereiten und diese für den Erkenntnisgewinn nachzubearbeiten.
Jedoch entstehen Führungssituationen nicht nur geplant, sondern oft ungeplant. Wann führen wir in Ad-hoc-Führungssituationen brillant? Wir führen sehr gut, wenn wir mental fit sind, uns dem Kontext und der Ziele bewusst sind sowie fachkompetent und emphatisch agieren. Mit unserem Leadership-Canvas bereiten Sie sich strukturiert auf geplante und wichtige Führungssituationen wie zum Beispiel Mitarbeitergespräche vor. Zusätzlich steigern Sie bei wiederholter Anwendung Ihre Leistung in Ad-hoc-Führungssituationen wie bspw. bei einer schnellen Zusammenkunft, um einen Konflikt zu klären.
Mentale Fitness
Unser Leadership-Canvas startet mit mentaler Fitness. Mentale Fitness hilft, in Ad-hoc-Führungssituationen präsent zu sein. Präsenz ist wichtig, um die Situation und Gefühle der Gesprächspartner wahrzunehmen. Andernfalls höre ich nicht zu und bin in Gedanken woanders.
Sowohl in strukturierten als auch in Ad-hoc-Führungssituationen empfehlen wir, sich zurückzuziehen und mit einer zweiminütigen Power-Pose einzusteigen, um sich vom Stress zu lösen und seine Energie aufzuladen. Wenn die Zeit dafür zu knapp ist, starten Sie gemeinsam mit den Teilnehmern mit einer Schweigeminute, in der sich jeder auf das bevorstehende Meeting fokussieren kann.
Besonders nachhaltig stärken wir die mentale Fitness mit Meditation. In einem Gespräch ist immer eine Metaebene der Kommunikation aktiv, die permanent die Situation mit bewertet, zum Beispiel: Was sagt mein Gesprächspartner über sich und mich mit seiner Botschaft aus? Mit bspw. Zazen, einer japanischen Sitzmeditation, kann die mentale Fitness für bessere Meta-Aufmerksamkeit trainiert werden.
Eine hohe Selbstkomplexität, das heisst, dass das Selbst nicht nur über den Job definiert wird, sondern Familie, Freunde, Hobbies und Sport ebenso relevant sind, hilft, ausgeglichen und mental fit zu sein. Wer ausgeglichen und frei von (Führungs-)Zwang ist, hat Kapazitäten frei, in Führungssituationen präsent und mental fit zu sein. Mentale Fitness hilft ebenfalls, um emphatisch zu sein und gleichzeitig seine Emotionen zu kontrollieren, zum Beispiel die Ursachen für Ärger beim Gegenüber verstehen zu können und sich nicht provozieren zu lassen.
Kontext und Ziel
In der strukturierten Vorbereitung und zu Gesprächsbeginn der Ad-hoc-Führungssituation hilft es, sich Kontext und Ziel der Führungssituation bewusst zu machen, um sachorientiert und nicht emotional aufgeladen im Gespräch zu argumentieren. Wer ist mein Gesprächspartner, welche Ausgangslage haben wir, was sind die Motive meines Gesprächspartners und was ist das Ziel unseres Gesprächs?
Fachkompetenz
Wir raten Führungskräften stärker in Fachkompetenz zu investieren. Warum? In der modernen Arbeitswelt geht die Tendenz klar zu selbstorganisierenden Teams, dadurch werden die Hierarchien flacher. Der Vorgesetzte wird wieder Teil vom Team und soll in Ad-hoc-Führungssituationen fachlich im Team mitentscheiden.
Um in Zeiten von digitaler Veränderung komplexe Probleme anzugehen, wird Fachkompetenz zusätzlich zur Methoden- oder Finanzkompetenz immer wichtiger. Deshalb empfehlen wir, im Leadership-Canvas eine Agenda mit Sach- und Fachthemen zu führen und fachlich relevante Entscheide sowie Übereinkünfte festzuhalten.
Empathie
Emphatie beginnt mit aktivem Zuhören, das heisst damit, seinem Gesprächspartner aufmerksam zuzuhören, den Sachverhalt auf den Punkt zu bringen und Position zum Thema zu beziehen. Hierfür ist es notwendig sein inneres (Meinungs-)Team zu kennen und zu befragen, um seine Position formulieren zu können (vgl. Schulz von Thun). Viele transaktional agierende Manager fokussieren sich auf rationales Handeln in der Führung und blenden Teile ihrer Emotionen aus. Sie splitten ihr inneres Team auf und folgen nur den rationalen Gefühlen. Gefühle oder Emotionen auszublenden, mindert jedoch die Empathie und die Führungskraft. Man kann dann nicht mehr feinfühlig zuhören, zusammenfassen und Position beziehen.
Lessons learned und Take-aways
Das Leadership-Canvas schliesst mit Raum für Erkenntnisse aus der Führungssituation ab und bietet die Möglichkeit über die Ergebnisse und das zu Beginn definierte Ziel zu reflektieren. Für einen Erkenntnisgewinn können Sie auf dem Canvas die Ergebnisse Ihrer Reflexion direkt mit dem vorher definierten Ziel für das Meeting vergleichen.
Wissenschaftliche Fundierung: Situative Führung und New Leadership
Während universelle Führungstheorien davon ausgehen, dass bestimmte Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsmerkmale (Führungsstil) grundsätzlich zum Erfolg führen, behauptet die Kontingenztheorie (Situative Führung), dass der richtige Führungsstil immer in Abhängigkeit von persönlicher Beziehung, Aufgabenstruktur sowie Machtposition des Vorgesetzten zu sehen ist und daher situativ anzuwenden ist. Oder etwas anders formuliert: Unterstützung ist das, was ein einzelner in einer bestimmten Situation als Unterstützung empfindet. Die situative Führungstheorie nach Hersey und Blanchard (1969) empfiehlt mit ihrem Reifegradmodell unterschiedliche Führungsstile in Abhängigkeit des arbeitsbezogenen und psychologischen Reifegrads der Geführten:
- Dirigieren: niedrige Mitarbeiterorientierung und hohe Aufgabenorientierung bei niedrigem Reifegrad des Mitarbeiters
- Trainieren: hohe Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung bei geringem bis mittlerem Reifegrad des Mitarbeiters
- Unterstützen: hohe Mitarbeiterorientierung und niedrige Aufgabenorientierung bei mittlerem bis hohem Reifegrad des Mitarbeiters
- Delegieren: niedrige Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung bei hohem Reifegrad des Mitarbeiters
Verdienst dieser Theorie ist die noch heute gültige Erkenntnis, dass nicht in jeder Situation gleich geführt werden darf. Mit der zunehmenden Führungskomplexität, ausgelöst durch die globalen und dynamischen Veränderungen sowie dem grundlegenden Wertewandel, werden solche eindimensionalen traditionellen Führungsansätze aufgrund fehlender Praxistauglichkeit durch moderne mehrdimensionale und integrative Führungsansätze abgelöst, welche die Anforderungen an ein modernes menschenzentriertes Führungsverständnis besser erfüllen. Das von Corinna von Au (InLeaVe) entwickelte New-Leadership-Modell basiert auf vier Grundpfeilern, die in der Grundidee zwar statisch, aber in der konkreten Ausgestaltung organisationsspezifisch und dynamischer Natur sind:
- Beziehung: Der Führungsprozess wird als Beziehungs- und Interaktionsphänomen verstanden, das heisst Führung wird als eine wechselseitige Transformation von Führenden und Geführten verstanden. Gleichermassen fliessen Menschenbilder bei der Generierung von Führungsansätzen implizit oder explizit immer mit ein und die Individualität der Mitarbeiter rückt in den Vordergrund.
- System: Die Aufmerksamkeit richtet sich von der Individualebene zunehmend auf das holistische Organisationssystem und die Organisationskultur. Der Führungskontext wird dabei als komplex, vielschichtig, dynamisch und insbesondere mehrdeutig angesehen.
- Partizipation: Der hierarchischen und/oder autoritären Führung wird zunehmend eine Absage erteilt. Was zählt, ist Partizipation und Flexibilisierung in Form der agilen oder gar geteilten Führung – in welcher Form auch immer.
- Sinn: Werte- und Gesundheitsfragen werden in Zeiten einer zunehmend angespannten psychosozialen Lage immer lauter und weiche Führungsansätze werden durch neurowissenschaftliche Erkenntnisse bestätigt und wiederbelebt (wie etwa emotionale oder spirituelle Führung) bzw. weiterentwickelt (wie etwa gesunde oder achtsame Führung).
Bei unseren drei Fallbeispielen aus dem Bereich situativer Führung werden die Herangehensweisen sowie Lösungsansätze im Modell von New Leadership verortet und dessen Anwendbarkeit im praktischen Führungsalltag kritisch gewürdigt und reflektiert. Auf Basis der daraus abgeleiteten Erkenntnisse haben wir die zentralen Erfolgsfaktoren in der situativen Führung herausgearbeitet und diese als Grundlage für die Entwicklung des Leadership-Canvas verwendet.
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