Leadership Essays 2019

Wahre Teams findet man nur auf dem Spielfeld – nicht im Büro!

Dominique Dietiker, Steve Furrer, Aurelia Schlatter, Tom Weber, Anja Zimmermann

Teamorientierte Sportanalogien für Führungskräfte

Der nachfolgende Essay basiert auf Gesprächen mit hochkarätigen Interviewpartner/-innen, die uns spannende Einsichten in den Alltag des Spitzensports gegeben haben. So gilt unser Dank Simone Berner (Meisterschafts-, Cup- und Europacup-Siegerin im Unihockey), Gilbert Gress (Fussballexperte, ehemaliger Fussballtrainer und Fussballspieler), Fabian Hänni (Leiter der Junioren beim EHC Biel), Benjamin Huggel (Fussballexperte, ehemaliger Fussballtrainer und Fussballspieler), Urban Leimbacher (Geschäftsführer vom EHC Winterthur, ehemaliger Torhüter in der National League) und Ciriaco Sforza (Fussballtrainer, ehemaliger Schweizer Fussballspieler).

Spielfeld abstecken

Winning teams are tough to find – and even tougher to build. Doch es gibt durchaus Erfolgsgeschichten: Im Januar 2019 waren die St. Louis Blues die Tabellenletzten von 32 Mannschaften der National Hockey League (NHL), die den Ruf hat, die härteste und schwierigste Eishockey-Meisterschaft der Welt zu sein. Sechs Monate später gewannen sie die Meisterschaft und hielten jubelnd den Stanley Cup in ihren Händen. Wie haben sie das erreicht? Wir sind überzeugt, dass dieser rasante Aufstieg und überraschende Erfolg nicht zuletzt einer positiven Teamdynamik zu verdanken ist.

Wie können Führungskräfte dabei unterstützt werden, Teamdynamiken früh zu erkennen und anhand klarer Rahmenbedingungen analog sportlicher Teams zu steuern? In angeregten Diskussionen mit namhaften Persönlichkeiten aus dem Schweizer Spitzensport sowie einer Online-Umfrage mit Amateur- und Profisportlern konnten wir das Thema aus verschiedenen Perspektiven beleuchten. Wir haben dabei herausgefunden, dass fünf Faktoren zur Etablierung einer positiven Teamdynamik beitragen: Teamzusammenstellung, gemeinsames Ziel, Verantwortungsbereitschaft, vertrauensvolles Umfeld und Identität. Mit den gesammelten Erkenntnissen liefern wir Denkanstösse zur Bildung einer positiven Teamdynamik im Unternehmenskontext. Unsere fiktiven Sportakteure Mara und Tim zeigen auf, wie Weltklasse-Teams im Sport funktionieren und was wir daraus für das Geschäftsumfeld lernen können.

Mara und Tim kennen sich seit vielen Jahren. Sie haben dieselbe Schule besucht und lange zusammen Fussball gespielt. Als Teenager hat sich Mara entschieden, Profi-Fussballerin zu werden. Heute spielt sie erfolgreich in der Frauen-Bundesliga. Tim hat eine KV-Lehre abgeschlossen und führt seit Kurzem ein kleines Team in einem KMU. Während der Sommerpause kehrt Mara für ein paar Tage in die Schweiz zurück und trifft sich mit Tim. Dieser ist verzweifelt: Er hätte nie gedacht, dass so schwierig sein könnte, ein Team zu führen. Insbesondere mit der Dynamik im Team ist er nicht zufrieden. Tim verbringt die meiste Zeit, Aufgaben an seine Mitarbeitenden zu verteilen und diese zu kontrollieren. Mara hört sich die Sorgen von Tim an und denkt nach. Als Profi-Fussballerin hatte sie schon mehrfach mit schwacher Teamdynamik zu tun und möchte Tim gerne helfen. Sie hat jahrelange Erfahrung im Teamsport und konnte sich im Laufe ihrer Karriere u. a. mit Experten wie Gilbert Gress, Beni Huggel, Ciriaco Sforza, Urban Leimbacher, Simone Berner und Fabian Hänni darüber austauschen, welche Faktoren zu einer positiven Teamdynamik beitragen.

1) Teamzusammenstellung

Als Mara mit dem Fussballspielen begann, fragten ihre Eltern und ihr Trainer sie: «In welcher Position möchtest du spielen?». Das 6-jährige Mädchen wollte im Mittelfeld spielen. Mara wusste auch, welche Aufgaben sie in dieser Rolle erfüllen musste und welche Zonen des Spielfeldes zu besetzen waren. Die Wahl ihrer Position erfolgte durch Assoziation mit ihrem damaligen Lieblingsspieler. Im Fussball ist die Rolle so wichtig, dass ein Spieler mit der Rolle und deren Attributen (Aufgaben, Position und bis in die 1990er-Jahre auch die Rückennummer) definiert und identifiziert wird. Genau so wichtig wie die individuelle Rolle ist in Maras Augen die Kombination der Spielerinnen in ihrer Mannschaft – denn es können nur elf gleichzeitig spielen. Die besten Spielerinnen auszuwählen und richtig zu kombinieren, war immer die Aufgabe von Maras Trainer/-innen. Der Geschäftsführer vom EHC Winterthur und ehemalige Torhüter in der National League Urban Leimbacher hat ihr einmal gesagt:

«Der Mix macht es aus.»

Leimbachers Meinung nach geht es nicht darum, die besten Spielerinnen zu haben, sondern die Spielerinnen zu wählen, die am besten zusammenpassen. Anders formuliert: Eine Mannschaft ist nicht die Summe der einzelnen Spieler, sondern das Produkt ihrer Interaktionen. Um eine positive Teamdynamik zu fördern, muss Maras aktuelle Trainerin den bestmöglichen Mix zwischen Charakteren und Rollen finden. Im optimalen Fall so, dass die Ausführung der Rollenaufgaben Sinn macht, die allgemeine Zielerreichung der Mannschaft möglich ist, die Zufriedenheit der Spielerinnen gewährleistet ist und das Konfliktpotenzial minimiert wird. Mara geht ein absurdes Beispiel durch den Kopf: Was wäre, wenn ihre Trainerin die stärksten Spielerinnen wählte und dann die Mannschaft so aufstellte, dass Stürmerinnen als Verteidigerinnen, Verteidigerinnen als Mittelfeldspielerinnen und Mittelfeldspielerinnen als Stürmerinnen spielen würden? Die allgemeine Zielerreichung, also das Spiel zu gewinnen, bleibt theoretisch möglich, weil die stärksten Spielerinnen auf dem Feld sind. Aber wie sieht es mit der Ausführung der Rollenaufgaben, der Zufriedenheit der Spielerinnen und dem Konfliktpotenzial aus? Wahrscheinlich relativ schlecht, weil die Interaktionen zwischen den Teammitgliedern stark beeinträchtigt wären.

Tim denkt über Maras Ausführungen nach. Er hat mit seinem Team nie die Rollen definiert. Bisher ist er davon ausgegangen, dass die Aufgaben und Rollen der einzelnen Teammitglieder allen bekannt sind. Hat er sich vielleicht verschätzt? Tim nimmt sich vor, alle Mitarbeitenden ihre eigene Rolle definieren zu lassen und diese anschliessend im Team zu diskutieren, sodass die Ergebnisse für alle transparent sind. Ausserdem wird er den Interaktionen zwischen seinen Mitarbeitenden künftig genau so viel Wert schenken, wie den Fähigkeiten der einzelnen Mitarbeitenden, damit sie sich optimal ergänzen und zusammenarbeiten können. Zuletzt will Tim bereits bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitenden sicherstellen, dass die neue Person gut ins Team passt und die restlichen Charaktere ergänzt.

2) Gemeinsames Ziel

Ein gemeinsames Ziel ist für Mara der Kompass und die Grundlage jedes Teams. Ohne ein klares Ziel ist ihrer Meinung nach die Entwicklung und das stetige Messen der Leistungen schwierig. Mit Simone Berner, Meisterschafts-, Cup- und Europacup-Siegerin im Unihockey, hat sie vor kurzem diskutiert, wie zentral Zwischenziele für ein Team sind:

«Zwischenziele sind wichtig, um den Fokus zu setzen.»

Ergänzend zum gemeinsamen Ziel zählen auch rigide Anreize für individuelle und mannschaftsübergreifende Leistungen. Diese ergänzende Komponente in der Mannschaft schafft ein System expliziter und impliziter Anreize. Für Mara ist es wichtig, bewusst von Zielen und nicht von einer Vision zu sprechen. Ein Sportteam bewegt sich in einem geschützten Rahmen und braucht konkrete und messbare Einheiten, um ihr gemeinsames Ziel zu erreichen. Die Vision wird von der Vereinsführung bestimmt, prägt die Mannschaft und untermauert deren Existenz. Sie ist aber keine Komponente, mit welcher das Team direkt arbeiten kann. In gemeinsamen Trainings fokussiert sich die Mannschaft auf mittel- bis langfristige Ziele sowie unmittelbare anstehende Aufgaben. Mara hat folgendes in einer Studie gelesen: «Erfolg erhöht den Zusammenhalt und zahlt somit positiv auf die gemeinsamen Ziele ein». Deshalb wird im Sport durch Freundschaftsspiele bereits vor Saisonstart eine künstliche Wettbewerbssituation geschaffen, um erste Erfolge zu erzielen.

Für Tim sind diese Verhältnisse nicht direkt mit der Unternehmenswelt vergleichbar. In seiner Organisation stehen Teams nicht miteinander in Konkurrenz. Analogien können aber seiner Meinung nach trotzdem gebildet werden. Jedes einzelne Team im Unternehmenskontext trägt seinen Teil zum Erreichen einer übergeordneten Vision bei. Damit die Teams im Unternehmenskontext wirtschaftlich und effektiv agieren, braucht es somit auch ein gemeinsames Ziel. Auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten, untermauert die Vision des Unternehmens und gibt dem Team eine Daseinsberechtigung. Deswegen wird Tim gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden ein Teamziel definieren und dies als Plakat fürs Büro ausdrucken lassen. Tim glaubt ausserdem, dass es – ähnlich einer Trainingssituation im Sport – für Teams im Unternehmenskontext wichtig ist, sooft wie möglich die eigene Leistung zu reflektieren. So können benötigte Fähigkeiten erlernt und auch verbessert werden, damit das Ziel des Teams und so auch die Vision des Unternehmens erreicht werden kann. Tim wird daher aktiv Zeit für eine regelmässige gemeinsame Reflexion der Teamleistung einplanen. Mara rät Tim auch, sich folgende Analogie vor Augen zu halten: In Sportteams wird in Trainingssituationen geübt, wie auf unterschiedlichen Wegen ein Ziel erreicht werden kann. Sobald Sportteams in einem kompetitiven Modus sind, müssen sie selber entscheiden, welche erlernten Fertigkeiten sie wie einsetzen, um das Ziel zu erreichen. Mara betont, wie wichtig es ist, dem Team Freiheiten zu lassen, wie die Ziele erreicht werden. Tim nimmt sich vor, seinem Team volles Vertrauen und grösstmöglichen Freiraum diesbezüglich zu geben. Er ist überzeugt, dass es mehrere Wege gibt, wie sein Team die gemeinsam definierten Ziele erreichen kann.

3) Verantwortungsbereitschaft

Für Mara ist ganz klar: In ihrer Mannschaft verpflichtet sich jede Spielerin gegenüber dem Verein und insbesondere ihren Teamkolleginnen auf dem Spielfeld. «Deinem Team hilfst du am meisten mit Topleistung», sagt ihr auch der ehemalige Fussballprofi Beni Huggel. Die Verantwortung beginnt im Spitzensport damit, individuelle Höchstleistung zu erbringen – dies steht für Mara ausser Frage. Für eine gute Teamdynamik ist allerdings nicht nur die eigene Leistung zentral, sondern auch die Verantwortungsbereitschaft im Team. Gilbert Gress, Fussballexperte, ehemaliger Fussballtrainer und Fussballspieler, vertritt dieselbe Meinung, wenn er sagt: «Alle Spieler müssen Verantwortung übernehmen.» Mara fühlt sich als Profi wohl in Change-Situationen, denn Sportteams formieren sich immer wieder neu und müssen sich regelmässig in neuen Konstellationen zusammenfinden. Vertrauen, Zusammenhalt und die Übernahme von Verantwortung im Team werden oft erst über die Zeit entwickelt. Gemäss des Fussballtrainers und ehemaligen Schweizer Fussballspielers Ciriaco Sforza kann dieser Prozess bewusst durch den Trainer begünstigt und vorangetrieben werden. Und Mara weiss aus eigener Erfahrung, dass im Profisport bereits ein sehr hohes Mass an Verantwortung vorausgesetzt wird. Tim ist sehr interessiert und fragt nach: «Ist es möglich die Verantwortungsbereitschaft dennoch weiter zu steigern?» «Ja, das ist tatsächlich möglich», antwortet Mara. Die Unihockey-Spielerin Simone Berner ist überzeugt:

«Mitspracherecht fördert das Verantwortungsbewusstsein.»

Zudem sollten Berners Meinung nach individuelle Perspektiven gefördert werden. Sobald Spielerinnen persönliche Weiterentwicklungsmöglichkeiten sehen, wird ihr Ehrgeiz gefördert und sie sind bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen. Die Einflussmöglichkeit und Abgrenzung der Verantwortung während dem Match wird von Trainerin und Spielerinnen unterschiedlich eingestuft. Während Maras Trainerin durchaus findet, das Spiel von aussen beeinflussen zu können, sei dies durch direkte Kommunikation oder verlängerte Arme in Form eines Captains, sehen sich Mara und die anderen Spielerinnen sich selbst überlassen. Während dem Spiel kommt der Mannschaftskapitän zum Zug und übernimmt die verantwortungsvolle Rolle, das Team zusammenzuhalten.

Tim wäre froh, wenn seine Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung übernehmen würden. Er ist überzeugt, dass ein Team mit höherer Verantwortungsbereitschaft eine positive Teamdynamik entwickeln kann. Während im Sport der Trainer oder Captain eine Vorbildfunktion diesbezüglich einnimmt, muss in der Geschäftswelt die Führungskraft mit gutem Beispiel vorangehen. Für Tim sind Mitsprache und Mitgestaltung durch Mitarbeitende ein wichtiger Weg zur Steigerung von Verantwortungsbereitschaft. Nach Maras Ausführungen glaubt er fest daran, dass seine Mitarbeitenden bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äussern und gleichzeitig wissen, dass sie ernst genommen werden. Tim wird eine Pinnwand im Büro aufstellen, auf welche seine Mitarbeitenden aktuelle Herausforderungen und ihre Verbesserungsvorschläge laufend platzieren können. Er möchte die gesammelten Inputs während dem Teammeeting diskutieren und bearbeiten. Tim ist sich bewusst, dass Kommunikation im Geschäftsumfeld genauso wichtig ist wie in Sportmannschaften. Den Kolleg/-innen zu berichten, woran man arbeitet, was wieviel Zeit in Anspruch nimmt und wo Herausforderungen auftauchen, erhöht die eigene Verantwortung und diejenige der Kolleg/-innen. Einerseits verpflichtet man sich gegenüber anderen, Termine einzuhalten und Aufträge zu erledigen, andererseits zeigt man, wo Unterstützung gebraucht wird. Deswegen möchte Tim, dass am Teammeeting jeder Mitarbeitende kurz über den aktuellen Stand und die Herausforderungen seiner Arbeit berichtet. Die Planung der persönlichen und beruflichen Entwicklung gibt gemäss Mara weiteren Anreiz, verantwortungsvoll und mit Engagement seine Aufgaben zu erfüllen. Deswegen entscheidet Tim, die persönliche Weiterentwicklung seiner Mitarbeitenden zu fördern, indem alle Mitarbeitenden mindestens eine externe Veranstaltung pro Jahr besuchen.

4) Vertrauensvolles Umfeld

«In allen Mannschaften, für die ich gespielt habe, zahlten Kommunikation und Offenheit auf Vertrauen und somit auf eine positive Teamdynamik ein», fährt Mara fort. Kommunikation gilt in der Literatur als Basis für die Entstehung von Mannschaften. So erstaunt es kaum, dass fast alle Profi-Sportlerinnen und -Sportler, mit denen Mara gesprochen hat, Kommunikation als wichtiges Element für eine positive Teamdynamik erwähnt haben. Beni Huggel ist sogar überzeugt:

«Jede Kommunikation ist besser als gar keine.»

Simone Berner versucht als Trainerin möglichst transparent zu kommunizieren und dem Team direkt Feedback zu geben. Sie ist überzeugt, dass das Team das repliziert, wenn sie als Vorbild vorangeht. Es sollen sich kleine kooperative Gruppen bilden, die sich direktes Feedback geben und so schnell lernen. Eine direkte Feedback-Kultur fördert den Austausch im Team und wirkt sich auf persönlicher Ebene sowie auf die Teamentwicklung positiv aus. «Offenheit zwischen den Teammitgliedern und auch gegenüber dem Staff sind wichtige Faktoren, um ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen», sagt Mara. Fabian Hänni, Leiter der Junioren beim EHC Biel, hat ihr bestätigt, dass Offenheit Vertrauen schafft und auch Beni Huggel sagt: «Wenn man sich persönlich mag, verzeiht man sich mehr Fehler.» Mara weiss, dass es ein sehr starkes Bindemittel für Vertrauen ist, wenn man sich auf der persönlichen Ebene offen gibt und seine verletzlichen Seiten zeigt. Sobald man sich auf der persönlichen Ebene näherkommt, schafft das ein Gefühl von Vertrauen und das Team verschmilzt nicht nur auf der Leistungs-/Fachebene, sondern auch auf der menschlichen.

Tim versteht, dass durch Offenheit und hochfrequentierte Kommunikation Vertrauen etabliert werden kann und nimmt sich vor, seine Mitarbeitenden zukünftig früh über anstehende Entscheide zu informieren und sie auf diese Weise bewusst ins Vertrauen zu nehmen. Im Arbeitskontext erinnert sich Tim zudem an die Allen-Kurve, die ein spannendes Phänomen beschreibt: Die Frequenz der Kommunikation nimmt steil ab, je weiter die Menschen physisch Abstand haben. Um eine Feedback-Kultur entstehen zu lassen, ist es von Vorteil, im richtigen Moment physische Nähe zu schaffen. Dabei sollen formale Formate wie regelmässige Reviews oder Retrospektiven nicht ersetzt werden. Tim entscheidet sich, sein Einzelbüro aufgeben und zusammen mit seinem Team ins Grossraumbüro ziehen, um eine bessere und intensivere Kommunikation zu fördern. Ein weiteres vertrauensförderndes Mittel ist gemäss Mara, wenn die Führungsperson ihre verletzliche Seite zeigt. Das sendet ein bedeutendes Signal an die Teammitglieder aus, dass diese sich sicher fühlen dürfen. Mitarbeitende können so ihre Ängste oder Schwächen ansprechen – und der Austausch darüber nährt wiederum das Vertrauen zueinander. Tim wird versuchen, eigene Fehler und Schwächen ehrlich zu kommunizieren, sodass sein Team seine Offenheit spüren kann.

5) Identität stiften

«Neben der Teamzusammenstellung, einem gemeinsamen Ziel, Verantwortungsbereitschaft und Vertrauen gibt es noch einen letzten wichtigen Punkt, den du kennen solltest», sagt Mara. «Die Identität einer Mannschaft und die Zugehörigkeit jedes einzelnen Spielers zum Team ist ein kritischer Faktor für eine positive Teamdynamik.» Diese gemeinsame Identität wird in sportlichen Teams unter anderem durch eine partizipative Teamkultur, vermehrte zwischenmenschliche Interaktionen sowie die Visualisierung von Teamzugehörigkeit gefördert. Eine partizipative Teamkultur steigert die Motivation und Akzeptanz von Entscheiden. Gerade in Teams mit jungen Spielern bringt beispielsweise die partizipative Erarbeitung von Teamregeln einen deutlichen Mehrwert zur Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls. Allerdings nimmt die Wichtigkeit von Partizipation unter Wettbewerbsbedingungen eher ab. Je professioneller Teams einen Sport betreiben, desto mehr verändert sich die Teamkultur von einer demokratischen zu einer autokratischen Führung. Dies unterstreicht unter anderem auch Gilbert Gress:

«Pas les paroles, mais les actes.»

Nach dem Motto «Taten statt Worte» macht er aufgrund eines hohen Levels an Professionalität die Leistungsbereitschaft seiner Spieler nicht von deren Mitspracherecht abhängig. Mara betont, dass zwischenmenschliche Interaktion neben dem Spielfeld ein zweiter zentraler Faktor für die Etablierung einer gemeinsamen Identität von sportlichen Teams ist. Aktivitäten ausserhalb des Trainings und teilweise auch ohne die Anwesenheit des Trainers sind auch gemäss Beni Huggel zentral, um die Zugehörigkeit von einzelnen Spielern zum Team zu fördern. Der dritte wichtige Treiber zur Schaffung von Identität ist die Visualisierung von Teamzugehörigkeit. Mara stimmt Fabian Hänni zu, dass es banale Elemente wie ein einheitliches Trikot sind, die innerhalb des Teams ein Gemeinschaftsgefühl schaffen. Auch die Auszeichnung eines besonders hohen Engagements fürs Team oder die Visualisierung von Erfolgen in Form von Plakaten können, so Maras Erfahrung, die Identität des Teams formen.

Die Förderung einer gemeinsamen Identität könnte auch im geschäftlichen Umfeld positive Teamdynamiken hervorrufen, denkt Tim. Da das Engagement von Mitarbeitenden in Organisationen oft nicht vergleichbar ist mit der überdurchschnittlichen Leistungsbereitschaft von Spitzensportlern, müsste der positive Effekt eines partizipativen Führungsstils in der Geschäftswelt eher noch höher sein. Tim nimmt sich vor, mit seinem Team gemeinsam die Werte, Regeln und Prinzipien ihrer Zusammenarbeit im Team zu erarbeiten anstatt ihnen diese vorzuschreiben. Ausserdem möchte Tim den zwischenmenschlichen Austausch seiner Mitarbeitenden aktiv fördern. Er organisiert einmal im Monat ein Feierabendbier, an welchem sich die Mitarbeitenden auf persönlicher Ebene kennenlernen und austauschen können. Obwohl eine gemeinsame Identität in der Sportwelt durchwegs als positives Element zur Schaffung einer guten Teamdynamik gesehen wird, glaubt Tim, dass in der Geschäftswelt Vorsicht geboten ist. Eine starke Identität innerhalb eines Teams sollte nicht mit einer Abgrenzung gegenüber anderen Teams innerhalb der gleichen Organisation gleichgestellt werden. Im Gegensatz zum Sport, wo der Wettbewerb klar im Vordergrund steht, sollen in Unternehmen unterschiedliche Teams nicht gegeneinander, sondern kooperativ miteinander agieren. Tim wird besonders darauf achten, dass die gemeinsame Identität im Team immer das Ziel hat, sich in die Identität des Unternehmens einzufügen.

Schlusspfiff

Wir sind überzeugt, dass die fünf Faktoren Teamzusammenstellung, gemeinsames Ziel, Verantwortungsbereitschaft, vertrauensvolles Umfeld und Identität einen bedeutenden Beitrag zur positiven Teamdynamik auf dem Spielfeld leisten. Es zeigt sich am Beispiel von Mara und Tim, dass Führungskräfte in Unternehmen viel von Teaminteraktionen im Sportumfeld lernen können. Die fünf Faktoren bilden einen Rahmen für Führungskräfte, um bestehende Teamdynamiken zu erkennen und diese systematisch zu steuern:

Der Transfer der fünf Faktoren in den Unternehmenskontext eröffnete uns neue Perspektiven. Die Analogie zum Sport ist ein Beispiel, warum es sich lohnt, auch in anderen Disziplinen nach erfolgreichen Leadership-Prinzipien zu suchen. Besonders begeistert hat und der Umstand, dass bereits minimale Änderungen einen grossen Impact auf die Dynamik des Teams haben.

Im Unternehmenskontext existiert aktuell noch zu wenig Bewusstsein für diese Prinzipien, während es im Sport bereits tagtäglich gelebt wird. Unsere Erkenntnisse aus der Sportwelt sind simpel und können von jedem angepackt werden. Um erste Veränderungen zu schaffen und Erfolge zu verzeichnen, empfehlen wir mit einem der fünf Themen zu starten. So kann die Analogie zum Sportteam auf einfache Weise im organisatorischen Kontext eingebracht werden. Diese hilft Führungskräften dabei, relevante Faktoren für eine positive Teamdynamik zu identifizieren und die Kommunikation dieser Themen gegenüber dem Team zu unterstützen. Die fünf diskutierten Faktoren sind nicht abschliessend, sondern sollen vielmehr als Inspiration dienen und erste konkrete Anhaltspunkte zum Aufbau einer positiven Teamdynamik im Unternehmenskontext liefern. Wir wünschen viel Ausdauer und Spass auf dem Spielfeld!


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Teamdynamik – In fünf Schritten zum Spitzenteam (PDF 5.2 MB)